SCHESAPLANA

Der Glötscher ob Brand droben, der heutigstags nicht einmal im hohen Sommer seinen Wintertschopen mehr ablegt, ist vor Zeiten eine prächtige Alp gewesen, berühmt im ganzen Ländle. Manche schwere Kuh hat geweidet am Stofel, und manchen Zentner Molken hat man jährlich im Herbst in das Tal herabgesäumt. Da hat freilich noch niemand vermutet, daß einmal die schöne grüne Weide und der grasige Stofel in ein Eishemd schliefen müssen, und daß es dort im hohen Sommer nicht lützelmal bieschen werde, wo der Hirt im lieben Sonnenschein schöne Stückle gedudelt hat. Aber es gibt einen ob den Sternen, dem ist nichts zu rund auf der Welt, und der ist einmal als Bettler gewandelt auf Erden und in die Alp gekommen, von der ich erzähle. Ein Kübelein in der Hand und ein Käpplein unter dem Arm ist er gegangen von Hütte zu Hütte um ein bißchen Schmalz ins Kübelein um Gotteswillen. Aber die Alpleut haben ein Herz gehabt wie Stein und dem armen Männlein nichts gegeben als Unworte: "Scher dich, du Spengler, und da hat der Zimmermann das Loch gemacht." Eine Sennin hat gar noch das Gespött mit ihm getrieben. Sie nimmt ihm das Kübelein aus der Hand, wie wenn sie wollte Schmalz holen, hat es ihm aber mit Däschen (Kuhfladen) gefüllt und obenauf schön ordentlich mit Schmalz ebengestrichen, daß er es etwa nicht merke. Aber der Bettler hat es freilich gemerkt, er sagt zwar nichts, nimmt der Sennin sein Kübelein aus der Hand und wirft ihr einen vielsagenden Blick zu. Drauf geht er vor die letzte Hütte und heischt noch einmal ein bißchen Schmalz um Unser Lieben Frau willen. Ein Hirt und eine Sennin haben in der Hütte gehaust und das Molken versorgt und dem Vieh abgewartet schon viele Sommer. Zwar hat es bei beiden im Haar schon ein bißchen gewintert, aber ein Herz haben beide im Leibe getragen wie die liebe Stund. Sie heißen das arme Männlein freundlich in die Stube kommen, stellen zu essen und zu trinken auf: Milch, Butter und Käs, wie es auf den Alpen der Brauch ist, und machen ihm Kurzweil beim Essen mit Schwätzen. Das Männlein auch nicht faul, ißt und trinkt und läßt sich nicht heißen und erzählt, was ihm vorhin in einer Hütte begegnet sei. Wie die Sennin das hört, so geht sie genot und wäscht das Kübelein aus und füllt es mit Schmalz geschochnetvoll. Nach dem Essen nimmt das Männlein sein Kübelein zu Handen, steht auf und hebt den Zeigefinger in die Höhe und sagt mit bedeutsamen Worten: "Weil das Volk auf der Alpe da die Bettler verachtet und verspottet, so wird die Strafe Gottes brechen und verflucht wird die Alpe sein auf ewige Zeiten. Kein Würzlein wird mehr treiben am Stofel, kein Plätzlein mehr grünen auf ewig, drum, ihr guten Leutlein, flieht, solang es Zeit ist." So hat das Männlein gesagt, und einermal ist es verschwunden gewesen. Der Hirt und die Sennin staunen einander an und sagen zusammen: "Das ist eine himmlische Schickung", und züglen mit Hab und Fahrnis fort zum größten Gespött von den anderen Alpleuten. Nicht lang danach hat es eine brandkohlschwarze Nacht gegeben, und von der Alp her hat man im Tal herunten überpfächtig gehört tosen, als wenn der Welt der Faden wollte ausgehen, und am anderen Morgen, wie die Leute im Tal schauen wollen, ob etwa eine Rüfe gegangen sei, ist die Alp ganz eingeschneit gewesen, und das ist gewesen um Jakobi herum. Und wie das Männlein gesagt hat, kein Würzlein hat seither mehr treiben wollen, kein Plätzlein mehr grünen. Die Sennin, die dem Bettler sein Kübelein mit Däschen gefüllt hat, watet zu Nacht im Schnee herum und hünet. Aber die zwei Leutlein aus der letzten Hütte haben ein paar Jahre noch fromm und gutmann miteinander gelebt und mit der Zeit ein ruhiges Plätzlein aufdem Heilig-Kreuz gefunden.


Quelle: Die Sagen Vorarlbergs. Mit Beiträgen aus Liechtenstein, Franz Josef Vonbun, Nr. 129, Seite 115