Die Rechner in Schröcken

Ins alte Wirtshaus in Schröcken auf dem Tannberge, das 1863 abgebrannt ist, kamen jede Nacht drei geisterhafte Männer. Schlag zwölf Uhr traten sie in die Gaststube, stellten ihre Laterne auf den großen Tisch beim Herrgottswinkel und begannen auf der Schieferplatte des Tisches mit Kreide zu rechnen - anfangs ruhig und bedächtig, nach und nach aber fieberhaft und zuletzt ganz kopflos. Punkt ein Uhr verließen die unheimlichen Gäste polternd die Stube und jammerten: „Wir haben's nicht recht und bekommen's nicht recht.“ Ein furchtloser Bauer, der im Rufe eines guten Kopfrechners stand, faßte einmal den herzhaften Entschluß, diesen drei Geistern beim Rechnen zu helfen, um sie zu erlösen. Der Wirt befürchtete ein Unglück und wollte das Wagnis nicht zulassen; aber ungeachtet aller Einwendungen legte sich der Rechenmeister abends auf die Kutsche beim Gupfofen und wartete im Dunkeln der kommenden Dinge. Um Mitternacht erschienen wie gewöhnlich die drei Geister mit ihrer Laterne, nahmen am Tische Platz und begannen zu rechnen. Zweien Geistern konnte der Bauer auf der Kutsche ins Gesicht sehen - es waren ernste Totengesichter, aber ihr Anblick immerhin erträglich. Der dritte Geist hatte den Rücken gegen den Ofen gekehrt und darum konnte der Bauer dessen Aussehen nicht feststellen. Schon nach einer Viertelstunde wusste der Rechenmeister aus den Reden der Geister, daß es sich hier um eine verwickelte Alprechnung handle, und nach einer halben Stunde glaubte er, das richtige Verfahren zur Lösung dieser Rechnung gefunden zu haben. Entschlossen stand der Bauer von der Kutsche auf und wollte sich an den Rechentisch begeben. Schon war er in der Mitte der Stube, da wandte sich der dritte Geist um, in dessen Gesicht er bisher nicht sehen konnte; dieser Anblick war aber so wüst und grauenhaft, daß dem Bauer vor Schrecken schwindelte. Mit gesträubten Haaren taumelte der arme Rechenmeister auf die Kutsche zurück, fiel in Ohnmacht und der Wirt hatte am Morgen große Mühe, ihn wieder zum Bewußtsein zu bringen.

Quelle: Holunder, 1. Jg. (1923), S. 1, Nr. 40, (von Holdersepp), zit. nach Sagen aus Vorarlberg, Hrsg. Leander Petzoldt, München 1994, S. 149f