DIE WINDSBRAUT AUF DEM SCHRÖCKER ÄLPELE

An einem Nachmittag in der Heuzeit war auf dem Schröcker Alpele eine Familie dabei, dürres Heu einzutun. Wie nicht selten in heißen Hochsommertagen drohte ein Gewitter und auf einmal erhob sich ein Wind, der in einen Haufen dürres Heu fuhr und es vor den Augen der Heuer hoch in die Lüfte hinaufwirbelte. Wie die Leute so schauten, kam es ihnen vor, als sähen sie in der Heuwolke etwas mitfahren, ohne es indes genau zu erkennen. Da zog einer der jungen Burschen, halb im Ernst, halb im Scherz das Messer aus seinem Besteck, das er der örtlichen Tracht und Gewohnheit gemäß an der linken Seite seiner Hose in einer Tasche trug, und schleuderte es der Heuwolke entgegen. Aber das Messer kam nicht mehr zurück und bei allem Suchen fanden sie auf der abgemähten Wiese keine Spur.

Im nächsten Frühjahr zog wie immer ein Trupp junger Burschen als Steinhauer, Maurer und Handlanger in die welsche Schweiz und weiter ins Frankreich. Als sie, schon nah am Ziel, in einem Wirtshaus einkehrten, sah einer der Burschen, der das Messer in den Heuwind geworfen hatte, auf dem Fenstersims ein Messer liegen, das er ohne zu zweifeln für das seinige erkannte. Während er den Stilett noch prüfend in der Hand hielt, kam der Wirt herein und fragte ihn, ob er dies Messer kenne. Dem jungen Tannberger stieg langsam eine Ahnung auf und vorsichtshalber sagte er nein, er habe es nur betrachtet, weil es eine besondere Form habe und versucht, die Marke des Messerschmieds zu erkennen. Drauf sagte der Wirt, mit dem Besitzer des Messers hätte er noch ein Wörtlein zu reden. Im vorigen Sommer habe seine Tochter dies Messer mit heimgebracht. Sie sei auf die freie Kunst ausgefahren und da sei ihr das Messer auf den hohlen Leib geworfen worden. Sie sei so schwer getroffen worden, daß sie das väterliche Haus nur mit Mühe erreicht habe und ihr junges Leben habe lassen müssen. Das Messer, sagte der Wirt, habe er auf das Fenstersims gelegt, damit vielleicht einer der vielen Durchreisenden es erkenne und sich als Eigentümer und zugleich als Mörder seiner Tochter verrate.

Da hatte der Heuer vom Schröcker Älpele keine Lust mehr, das Messer für sein Eigentum anzusprechen. jetzt wußte er, was in der Heuwolke damals Besonderes mitgefahren war und auf welche Weise er um sein Besteckmesser gekommen war.


Quelle: Die Sagen Vorarlbergs. Mit Beiträgen aus Liechtenstein, Franz Josef Vonbun, Nr. 37, Seite 69