Was die Sage von Feldkirch erzählt

Wo deutsches Volk wohnt und sinnt und dichtet, da rankt die Sage. Und so schlingt sie denn ihr Gezweige auch um das Städtchen an der Ill und streut Märchengold in seine Gassen, über die alten Türme und Tore und über die Schlösser und Berge, die es umgeben.

Froh führt sie auf des Ardetzen sonnigen Hang und flüstert uns Lieder zu von reichen Zeiten, da dort überall die Rebe wuchs und ein Wein reifte, den Kaiser Max so gut erfand, daß er davon nach lustigem Gejaide beinahe zuviel des Trankes getan im Valduna-klösterlein — Dann weist sie auf die Dreischwestern, die mit ihren rauhen, himmelhohen Felszacken das Städtlein überragen; drei Mädchen waren es, die Sonntags zur Kirchenzeit im Walde Beeren pflückten, zur Strafe wurden sie grauer, starrer Stein. — Zu ihren Füßen rinnt in verborgenem Schachte ein Goldbrünnlein, und jedes Jahr kommt ein Venediger, es zu leeren. Oder ist's heute nicht mehr ein Venediger? Sind es vielleicht wandernde fahrende Schüler, und sprudelt das Brünnlein nicht Gold, sondern Wissen? — Gold ist auch bei der Tostner Burg zu rinden, als Laub liegt es, als Schlange ringelt es. Tief in unterirdischem Gange, ist der Schatz vergraben; wenn er blüht, sieht man in dichtem Walde nächtlicherweile aus der Erde hervor ein Licht schimmern. —- Noch älter als die Burg, die seit Jahrhunderten in Trümmern liegt, und das steingraue Wallfahrtskirchlein im stillen Waldtale unter ihr ist die dunkle, mächtige Eibe, die neben diesem steht; mit breitem, zwiefachem Wipfel ragt sie empor, rauhrindig und verwittert ist ihr Stamm, zerrissen und von Baumbart durchwirrt ihr dunkles hängendes Geäst. Mehr als ein Jahrtausend schon wurzelt sie an dieser einsamen Halde. (Sie gilt in Fachkreisen als einer der ältesten Bäume Mitteleuropas.) In ihrem Holze wirkt geheime Wunderkraft, und ihre Rinde lindert Weh und Gebrest. War sie vor Zeiten ein heiliger Baum? … Das Volk weiß, daß Maria mit dem lieben göttlichen Kinde auf der Flucht nach Ägypten in ihrem Schatten gerastet. — Auf dem felsigen Talvorsprung, wo das Kirchlein von Tisis erbaut ist, war in uralter Zeit eine heidnische Opferstatt. Über den See, der damals das weite Ried deckte, das noch heute die Wildente überflattert, fuhren die Leute rings vom Gestade in Kähnen dahin; oder sie kamen über das geheimnisvolle Heidenweglein, dessen Spuren man auf der Letzi sehen kann, fernher vom Gebirge, selbst über den wilden Arlberg. Einst aber, als sie wieder ein Opfermal hielten — es war gerade die Christnacht —, stürzte der Fels jäh ab, und der See verschlang den Götzentempel und die Heidenleute ohne Spur. Nur der Opferkessel blieb am Ufergestrüppe hängen. Die älteste Glocke der Kirche ist aus ihm gegossen, die Heidenglocke nennt man sie. Unter dem Felsen im Riedgrund ist noch jetzt eine Stelle, wo die Erde jedem Tritte weicht. Im Winter sieht man sie wie einen schmalen, schwarzen Streiten. Es ist das „bodenlose Grüble", worin der Heidentempel begraben ist.

— Und was rauscht dort am Hang des Alpele so dunkel durch die Hänge? Uli Mariß ist es, der Verräter, der im Schwabenkriege die Schweizer auf verborgenem Pfade unseren Kämpfern in den Rücken führte. Von der Höhe über Frastanz jedoch tönt heller Hornstoß. Der treue Hirtenknabe hat den Feind erspäht. So laut und lang stieß er ins Hörn, die Seinen zu warnen, daß er vor Ermattung im Tode hinsank. Und nun tobt auf der Frastanzer Aue die blutige Schlacht. Wild dröhnt Schwert und Streitaxt. Wie eine Mauer aus Eisen stemmen sich Tiroler Bergknappen, der „stählerne Haufe", den Schweizern entgegen. Da aber stürzt aus ihren Reihen Heine Wohlleb vor. Starken Arms faßt er die vorgestreckten Speere der Geharnischten und stößt sie sich selbst in die Brust. So schafft er den Seinen freie Bahn. (Die Sage überträgt auf ihn die Tat Winkelrieds. Tatsächlich fiel er von einer Kugel getroffen.) Schwer treffen die Morgensterne der Schweizer, und der Tod hält Mahd. Doch jetzt hebt sich, wo ein rettender Steg über die Ill führt, eine mächtige Gestalt empor. Der alte Bertsch ist es, der freie Walser, und neben ihm trotzen der Söhne sieben. Sie halten treue Brückenwacht und decken den Rückzug der Ihrigen. „Hüt Bertsch — und nümmameh!" tönt des

Alten Ruf, und kämpfend fallen seine Söhne, und kämpfend fallt ert Abends schleicht über das schaurige Schlachtfeld Mariß, der Verräter. Seinen Lohn heischend, hält er dem Feldhauptmann der Eidgenossen den Hut hin, daß er ihn mit Gold fülle. Der aber lacht verächtlich und mit zornigem Schwertschlag haut er Mariß das Haupt ab, daß es statt des Goldes in den Hut rollt.

— Über der Ill bei Göfis wandelt von der Heidenburg bis zur Linde am Kirchplatz oft ein Zug weißer Gestalten, das Haupt bekränzt, Lieder singend, Opfer bringend. — Beim Amberger Schlosse erscheint dem Mähder ein fremdartig gekleideter Mann im taunassen Grase. — Im Ansitz am Levner Weiher hockt und stiert die gespenstische Ahnfrau. — Das Martinskirchlein bei Altenstadt stand schon einsam inmitten grünender Felder, als dort, wo jetzt die Stadt Feldkirch ist, nur eine weite, wilde Au an der Ill war. Zwei Brüder haben es gestiftet; sie waren die ersten Christen der Gegend, wo sonst alles Volk noch im finstern Heidentum schmachtete. Lange war das Kirchlein das einzige Gotteshaus im weiten Tale; selbst über den Rhein herüber kamen an den Sonntagen die Leute auf Fähren, um allhier die Messe zu hören.

— In der Stadt selbst gemahnt die einem Gelübde zufolge erbaute Frauenkirche an die Pestzeit, da Tod und Tödin von Graubünden herab ins Land kamen, durch die Täler streichend, durch die Gassen, Sie sagte: "Schaufle du rechts durch, ich kehre links durch." Und wo die Grimme fegte, blieb keine Seele am Leben. — In der Johanniterkirche wird dereinst im furchtbaren Kriege, der dem Weltende vorangeht, ein wildes Reitervolk seine kleinen Rosse an den Kirchstühlen anbinden. — Nebenan im Hause der alten Toggenburger hat Doktor Fustus genächtigt und Zauberwerk getrieben, wobei ihn der Böse holte; zu Zeiten füllt noch höllischer Schwefelgestank den unheimlichen Raum. Oder war es nicht Doktor Fustus [Faust], war es der fahrende Schüler Scheibenstock, der es verstand, zu besprechen und zu bannen und Schätze zu heben, und so durch unsere Täler zog? — Wo der Brunnen in der Marktgasse steht, ist einmal ein feuriger Klotz vom Himmel gefallen, der lange glühend lag und dann wieder spurlos in der Luft verschwand. — Der ehemalige Schießstand an der Ill erzählt vom Junker Schützlein, der von dort über die Stadtmauer hinweg seinen Pfeil bis ins Rosen- und Entengässelein geschossen. — Die Heiligkreuzkapelle an der Hohen Illbruck hat der letzte Montforter zum Dank für seine glückliche Heimkehr aus dem Heiligen Lande erbaut. — Im hochgiebligen Rathaus, im dunkelgetäfelten Saale versammelt sich nächtens ein geisterhafter Magistrat mit grauen Perrücken. Die alten Ratsherren halten Sitzung und blättern in einem Folianten und suchen und suchen und blättern beim matten Ampellicht. Oft kann man dessen Schein in den Nachbarhäusern sehen. — Hanns Sturn, der Erbauer der alten gotischen Pfarrkirche, die mit ihrem hohen zweischiffigen Gewölbe ein Wahrzeichen der Stadt ist, hat traurigen Tod gefunden, weil er verzagten Herzens an seiner Kunst verzweifelte. Als nach vollendetem Baue die Maurer das Gerüst abbrachen und die starken, hölzernen Träger entfernten, erkrachte das Gewölbe, als ob es berste. Alles floh aus der Kirche, und Meister Hanns ward von dieser Stunde an nie mehr gesehen. Die Sage meldet, er habe in verblendetem Stolze nicht überleben wollen, daß sein Werk zusammenbreche und deshalb voll Schmerz den Tod in der nahen reißenden Ill gesucht. Die Kirche aber steht noch heute so hoch und herrlich, wie der unglückliche Meister sie gefügt, und mahnt, nie zu verzagen, sondern drohendem Mißgeschick zu begegnen mit starkem ausharrendem Mute.

— In der Schattenburg, dem alten Schlosse der Montforter, das die Stadt mächtig überragt und das Kaiser Sigismund mit dem Reichsheer einstmals vergebens belagerte, sind Schätze vergraben und auf dem Platze unter ihr, wo das Standbild des „guten Grafen", des letzten seines Geschlechtes, von hohem Brunnen schaut, tönt es am Tage der alten Fasnacht wie Spiel und Kurzweil. Sind es die Buben der Herrschaft, die der Graf dort alljährlich an diesem Tage versammelt? An die Tausend zogen sie mit hölzernen Wehren, Butzen (= Masken), Fähnlein und Spielleuten auf, und beim Brunnen waren Futtertröge voll Hirsebrei aufgestellt, aus denen die Buben löffeln konnten.

— Unheimlich sind die unterirdischen Gänge, die ;von der Schattenburg hinabführen, einer zur Pfarrkirche, ein zweiter zum Katzenturm, ein dritter zur Johanniterkirche. Niemand darf wagen, in sie einzudringen. Dumpfer Modergeruch steigt aus ihnen empor, und in ihrer Tiefe hört man zur Mitternacht Röcheln und wehes, schauerliches Geheul. — Dann wandert auch das Fräulein Ida durch den Burgweg herab zur Ill. Sie hat ihr Kind ermordet in unseliger Stunde; nun wäscht sie ihre blutigen Hände und ein Linnen. — Um die Hohe Illbrücke jagt das Nachtvolk; und jedes Jahr fordert die Ill ein Menschenopfer für ihre wilden Wasser, die sie dort durch die enge Kapfschlucht zwängt. — Beim Wassertor sieht man einen gespenstischen Fischer in grauem Mantel. — Aus dem alten Hubhaus klingt klagender Laut; ein Wucherer ist es, der den unrecht errafften Schatz in verborgenem Hinterzimmer hüten muß. — Der Klushund streift über die Landstraße herauf bis zum roten Kreuz bei der Kapuzinerkirche, wo er umkehren muß.

— Auch sonst treibt nächtens unholder Spuk in den Gassen. Aber er wird gebannt und unschädlich gemacht durch den Schall der Glocken. Wunderbare Weihe wohnt in ihnen. Selbst den Feind scheuchten sie dereinst von den Toren.

— Was für ein mageres Ritterlein kündet aber den Feldkirchern die Stunden an und schlägt im Dachreiter der Johanniterkirche mit der Streitaxt an die Uhrglocke? „Bläsi" nennt man es. Die einen sagen, das Ritterlein stelle einen Grafen von der Fahne dar, die anderen, es sei der älteste Bürger der Stadt. Dieser habe Bläsi geheißen und seine Mitbürger ein Sprüchlein gelehrt vom Fleiß und vom Maßhalten und der Morgenstund. Und weil die Feldkircher das Sprüchlein befolgten, haben sich schon vor Jahrhunderten vom „heimlichen Bach" getriebene Mühlen, Räder und Hammerwerke in der Stadt rastlos bewegt und gedreht. Und noch heute regen und bewegen sich dort Hämmer und drehende Räder und fleißige Hände und scharfen Wohlstand und Gedeihen. (Dazu dient ein Illarm, von dem es in der Prugger'schen Chronik heißt: „Besagter Illfluß schafft dieser Stadt großen Nutzen, indem er bei dem sogenannten hohen Wuhr an einem großen Steine [welcher mirakulose von dem nächsten Felsen bald nach Erbauung der Stadt heruntergefallen und das Wasser wunderlich zerteilt hat...] anstoßend einen Arm oder Wasserzug und Fluß in und durch die Stadt läßt gehen, welcher zwei Fruchtmühlen antreibt, die Schmiedhämmer und Blasbälge erhebt, zwei Sägmühlen, in gleichem zwei Walken wunderlich bewegt." Des Verkehrs halber wurde er vielfach überdeckt; deshalb der Name „der heimliche Bach".

Dies und andres ist's, was die Sage von Feldkirch erzählt. Von längst vergangenen Dingen weiß sie, von alter verschollener Zeit kündet sie, und dem, der aus ihrem Zauberborne trinkt, belebt sich Stadt und Gegend und wird ihm traut und bekannt.

Quelle: Was die Sage von Feldkirch erzählt, Anna Hensler, in: Feldkirch. Die Österreichische Stadt am Alpenrhein, Feldkirch 1949, S. 53ff.