Sage von der Entstehung der Litz-Kapelle in Schruns und von der Herkunft des dortigen alten Gnadenbildes
Am Standort der heutigen Kapelle ragte einst ein großer Birnbaum. Er gehörte einem gewissen Johann Haselbander in Schruns. Es war im Jahre 1689 im Herbst. Auf dem Bänklein vor der nahe gelegenen Schlosserschmiede saßen einmal nach Feierabend die Nachbarn zu gemütlichem Plausch beisammen. Da wies einer von den Bauern auf den früchtebehangenen Birnbaum und meinte: „So voll von Früchten wie heuer ist der Baum noch nie gewesen." „Ja, ja, das finde ich auch", bestätigte der Haselbander, und dann fügte er bei: „wenn ich es aber erleben würde, daß der Baum verdorrte und keine Früchte mehr gäbe, dann würde ich sogleich eine Kapelle am Platz erbauen." - Und was geschah? Wirklich im nächsten Frühjahr war der Baum verdorrt und setzte kein Laub mehr an, der wackere Haselbander aber hielt Wort und baute am Platze die Kapelle, wie sie jetzt noch steht.
Die Kapelle enthält ein vielverehrtes Gnadenbild der Mutter Gottes. Auf welche Weise aber das Bild ins Kirchlein kam, darüber erzählt die Legende folgendes: Diese Madonnenstatue soll einst draußen im Walgaudörflein Satteins auf dem Dachboden eines drei ledigen Geschwistern gehörigen Hauses gestanden haben. Dort auf der Oberdiele war sie an das Kamin angelehnt, und kein Mensch kümmerte sich darum; so blieb sie durch viele Jahre sozusagen unbemerkt, da man auf dem Dachboden selten etwas zu tun hatte. Da ging eines Tages eines der Geschwister auf den Dachboden, um etwas zu holen, Zu seiner Ueberraschung bemerkte es, daß das Standbild auf dem obersten Tritt der Bodentreppe stand. Auch die sogleich herbeigerufenen andern Geschwister überzeugten sich hievon, und in der Befürchtung, es sei jemand hinauf geschlichen, untersuchten sie zusammen das ganze Haus, fanden aber alles in Ordnung. Die Sache war ihnen unerklärlich. Dann stellten sie das Bild wieder an seinen alten Ort. - Als man nach längerer Zeit wieder einmal den Dachboden betrat, fand man die Statue wieder zuoberst auf der Stiege. Da berieten sich die drei Geschwister, was zu tun sei und kamen zum Entschlüsse, wenn sie zum drittenmal das Bild wieder vom Standort am Kamin entfernt und auf der Treppe finden sollten, dies als einen höheren Wink und Beweis zu betrachten, daß es nicht mehr länger auf dem Dachboden bleiben wolle. - Wieder verstrich eine längere Zelt, und tatsächlich wurde bei einer späteren abermaligen Begehung der Oberdiele das Bild wieder auf der Treppe oben angetroffen.
Somit war es bei ihnen ausgemacht, daß das Madonnenbild auf einem anderen, anständigeren Standort aufgestellt werden müsse.
Der ältere Bruder nahm nun das bild und trug es in einem "Räf" fort, um es irgendeiner Kirche zu verehren, wo er hinkam, erzählte er diese Vorgeschichte und bat, das Bild in der Kirche aufstellen zu dürfen. Jedoch überall wurde er mit seinem Begehren abgewiesen, da man schon ein Madonnenbild in der Kirche habe und kein zweites brauche. So kam der Mann mit seinem Bild auch ins Montafon und nach Schruns. Wiederum waren an einem Sonntag nach der Vesper die Nachbarn bei der Bank gegenüber der neuen Litz-Kapelle versammelt und plauderten. Da kam unser Satteinser daher, auf dem Rücken sein „Räf", mit einem schwarzen Tuch bedeckt. Was er da so verhüllt auf dem Rücken trage? fragten ihn die Leute, Der Mann erzählte ihnen von seinem Mirakelbild, und wie er es einer Pfarrkirche verehren wolle. Da baten ihn die Nachbarn, ihnen das Bild für ihre Kapelle zu überlassen. Der Satteinser aber wollte nichts davon wissen, sondern er wolle das Bild in einer größeren Kirche haben. Und schon ging er weiter. Die Leute aber schickten ihm einen aus ihrer Mitte nach und der holte ihn auf der Litzbrücke ein, vertrat ihm den Weg und bat nochmals dringend um Ueberlassung des Bildes. Da ließ sich der Mann endlich bewegen, kehrte um und verehrte seinen Schatz der Litz-Kapelle.
So kam das Standbild in das Kirchlein, wo es bis heutigentags verehrt wird. Bis seht, so schließt der Bericht, wird an allen Sonn- und Feiertagen abends ein Rosenkranz in der Kapelle gebetet und auch der Wohltäter der Kapelle gedacht. - Beim Brand in der Nacht des 26. Juni 1895 hat die Litz-Kapelle trotz unmittelbarer Nähe des Brandobjektes und größter Gefahr gar keinen Schaden genommen und wurde auch kaum merklich aus der Feuerseite geschwärzt.
Quelle: Nach einem Schriftstück im Pfarrarchiv Schruns 1880, in: Rund um Vorarlberger Gotteshäuser, Heimatbilder aus Geschichte, Legende, Kunst und Brauchtum, Bregenz 1936, S. 54