Der Ewige Jude

Es mag am Anfang des vorigen Jahrhunderts gewesen sein, als sich in einem Haus im Stalden etwas gar Sonderbares zutrug. — Es war an einem Winterabend. Der Schneesturm heulte über das Schindeldach, als ob „'s Wuotoheer komm“, und rüttelte geisterhaft an den geschlossenen Schiebeläden. Über dem Tisch flackerte unruhig die Funzel. Der „Eini“ hatte sich müde auf die „Ofenkunscht“ gelegt und zündete sein Holzpfeifchen an. Vater, Mutter und Kinder saßen noch beim Abendessen und ließen sich den „Grumperosutt“ mit „Huuskäs“ gut schmecken. Da näherte sich dem Hause hastigen Schrittes ein Mann und trat ohne Gruß in die Stube. Er trug zerlumpte Kleider und hatte einen unruhigen Blick. Unstet ging er in der Stube auf und ab und strich mit den Fingern unablässig seinen langen, zerzausten Bart. Schließlich bat er den Hausvater, er möchte ihm einige Kartoffeln geben. Gastfreundlich, wie der Lustenauer ist, lud dieser ihn ein, sich an den Tisch zu setzen und mit der Familie das Nachtmahl einzunehmen. Der Fremde aber sagte, er dürfe niemals im Leben sitzen oder auch nur ruhig stehen, sondern müsse wandern bis an das Ende der Zeiten. Daraufhin gab ihm der Hausvater einige Kartoffeln und sah dabei den „Eini“ verständnisvoll an, denn sie wußten nun, daß es der Ewige Jude war, von dem sie schon oft gehört hatten. Die Kinder fürchteten sich sehr vor dem bärtigen Mann und wagten kaum zu atmen. Nachdem der sonderbare Fremde die Kartoffeln hastig verzehrt hatte, ging er wortlos aus der Stube und verschwand im Dunkel der Nacht.

Ob er in späteren Zeiten wieder einmal in unser Dorf kommt? Wir wissen es nicht, denn er muß ja rastlos wandern bis zum Jüngsten Tag. Es soll dies die Strafe dafür sein, daß er Christus, unsern Herrn, als er mit dem Kreuze auf den Kalvarienberg stieg und vor seinem Hause ein wenig rasten wollte, unwirsch weggewiesen habe.

Quelle: Brauchtum, Sagen und Chronik, Hannes Grabher, Lustenau 1956, S. 25