DAS WILD MÄNNLE

Es ist kein Wunder, daß man früher besser gehütet hat als jetzt. Die Knechte und Mägde haben auch minder gekostet als heutigestags, und Hirten hat man an manchem Ort gar keine gebraucht. Die wilden Leute haben einem das Vieh gehütet und keinen Kreuzer dafür genommen.

So haben sie am Bürstigg droben viel Jahr einen Hirten gehabt fast umsonst. All Jahr ist aus den Wänden herab, man weiß nicht woher, ein Männle gekommen bis nah zu den Häusern, man hat ihm die Kühe nur gebraucht entgegenzutreiben ein Stücklein hinaus, da ist es mit ihnen auf die Weide gefahren einen Tag in den anderen und hat sie jeden Abend wieder eingetrieben wie ein angestellter Hirt, schön und ordentlich, und das Vieh ist versorgt gewesen um und um, und die Kühe haben wohl Milch gegeben, und solang das wild Männle gehütet hat, ist nie eine erfallen, und das wild Männle hat sie dabei manchmal hinaufgehen lassen, daß unsereinem gegrauset hat und man gemeint hat, sie müßten aus der Haut fallen.

Und für die ganze Müh und Arbeit hat man dem wilden Männle gar nichts zu geben brauchen, nur gegen Abend haben ihm die Weiber auf der Rod herum ein Stücklein Käs und Brot und ein bißchen Butter so auf einen großen Stein außer den Häusern draußen hingelegt; das ist allemal am andern Tag fort gewesen.

Einmal im Herbst, wie das wild Männle wieder so gut gehütet gehabt hat, sind die Bauern rätig geworden, sie müßten dem Männle doch auch etwas geben, sonst könnte es etwa das ander Jahr nicht mehr kommen, und haben ihm Hääß mit einem roten Kaputrock machen lassen und haben ihm das Zeug zu Micheli auf den Stein gelegt, wo es sonst immer das Essen weggenommen hat. Am Abend hat das Männle wie allweg die Kühe heimgetrieben. Wie es das Hääß gesehen hat, hat es das genommen und hat es angelegt, und wie es das angehabt hat - ein Bauer und sein Weib haben das von einem Schärm in der Nähe so ausspekuliert - da hat das wilde Männle auf allen Seiten über sich abhin geschaut und hat gesagt:


"Hübscha Ma,
weeha Ma,
nömma hüeta cha."


Und im nächsten Frühling ist das Männle ausgeblieben und hat sich auch später nie mehr sehen lassen.


Quelle: Die Sagen Vorarlbergs. Mit Beiträgen aus Liechtenstein, Franz Josef Vonbun, Nr. 153, Seite 128