SANKT FRIDOLIN

Im Laufe des siebenten Jahrhunderts erschien Fridolin, ein irländischer Glaubensbote, in Deutschland und Frankreich. Von dem fränkischen Könige Chlodwig Il. erhielt Fridolin eine unbewohnte Insel im Rheine zum Geschenke, auf der er das Kloster Säckingen gründete. König Chlodwig II. war der jüngere Sohn König Dagoberts I. von Austrasien, der im Jahre 630 den Halbmond in den daher genannten Monstein jenseits des Rheines einhauen ließ. Dies war das Grenzzeichen zwischen Rätien und dem damals bis hierher reichenden burgundischen Thurgau. Derselbe König Dagobert bedachte die uralte Kirche zu St. Peter in Rankweil mit Gütern, weshalb alljährlich am 30. Juni Seelenmessen für ihn und seinen Sohn Siegebert II. daselbst gehalten werden.

Der von Chlodwig II., Dagoberts Sohn, beschenkte Fridolin kam auf seinen heilbringenden Wanderungen auch in das Land Glarus im Gebirge Alemanniens, das den Gebrüdern Urso und Landolf gehörte. Urso führte als neugetaufter Christ ein musterhaftes Leben, vermachte, dem Tode nahe, seine Hälfte Güter dem Kloster Sädiingen und entschlief selig im Herrn. Nach seinem Tode sollten die Güter laut Testament dem Kloster anheimfallen, aber der geizige Landolf setzte sich ungerechter Weise in den Besitz derselben. Fridolin als Vorsteher des Klosters führte nun vor dem offenen Gerichte zu Müsinen Klage, der Gegner leugnete. Das Gericht gab sofort Fridolin den Bescheid, seine Rechte durch Zeugen zu erweisen. Fridolin versprach, binnen festgesetzter Frist glaubwürdige Zeugen zu stellen, und zog aus übernatürlichem Antriebe nach Glarus zum Grabe des vor zwei Jahren verstorbenen Urso und rief den Toten, daß er im Namen Gottes wieder auflebe, um der Wahrheit Zeugnis zu geben. Und siehe! der Grabstein hob sich, die Erde kreißte, und der Leichnam stand auf und wandelte mit Fridolin Hand in Hand zum Gerichte Müsinen, wo die Schöffen und Landolf schon der Zeugen harrten. Der Auferstandene erhob schweren Vorwurf gegen seinen Bruder und bekräftigte seine Schenkung vor den erbleichenden Richtern. Der kinderlose Landolf schenkte voll Entsetzen zu dem Anteil seines Bruders auch sein eigenes Gut dem Heiligen zum Baue des jungen Gotteshauses. Der Tote ward von Fridolin wieder zur Ruhe in sein Grab geführt.

Geschichtlich ist, daß von uralters her Glarus dem Frauenkloster Säckingen gehörte und der hl. Fridolin nach dem Glauben der Väter als der Schutzpatron des Landes verehrt wurde. Bis auf den heutigen Tag erscheint sein Bildnis, ein wandernder Einsiedler, im Landeswappen. Auch auf die Münzen des Kantons war es geprägt.

Die freie kaiserliche Reichsmalstätte, mallus imperii, vor welcher Fridolin seinen Zeugen stellte, wurde seit dem grauen Altertume bis ins fünfzehnte Jahrhundert unter freiem Himmel auf dem grünen Hügel zu Müsinen bei Sulz rechts am Frutzbach gehalten und wurde dann wegen der Schweizerkriege in das Dorf Rankwyl verlegt, jedoch mit Ehrung des alten Herkommens, daß das Gericht auf des Reiches freier Straße, höchstens unter einem Schutzdach mit offenen Seiten und nur im Winter in der Stube gehalten werde. Sein Sprengel reichte damals bis an den Arlberg, an den Septimer in Graubünden, an den Wallenstädter See, bis ins Thurgau und an den Bodensee. Mächtige Herren aus rätischem und alemannischem Geschlecht waren seine Schöffen, und es saßen auf der Müsiner Wiese zu Gericht: die Grafen von Montfort, von Werdenberg, von Toggenburg, von Misox, die Freiherren von Aspermont, von Belmont, von Razüns und andere. Später, nachdem die alten Geschlechter untergegangen, wurden die zehn Beisitzer aus dreizehn freien Geschlechtern des Sprengels genommen. Der freie Landrichter wurde von der kaiserlichen Majestät gesetzt, im letzten Jahrhundert aber ward verordnet, daß es für alle Zeiten der Vogt von Feldkirch sein solle. Dies freie Landgericht erhielt sich bis zum Jahre 1806, wo Vorarlberg an Baiern fiel.


Quelle: Die Sagen Vorarlbergs. Mit Beiträgen aus Liechtenstein, Franz Josef Vonbun, Nr. 225, Seite 176