DER MÜHLSTEIN

In einem Wald ist eine Kiste gewesen mit einem kostbaren Schatz drin. Die Leute haben zwar davon gewußt, weil man aber immer gesagt hat, es hocke eine furchtbare Krott auf dem Deckel, und wer den Schatz wolle erwischen, müsse die Krott dreimal herabschlagen, das erst und das zweitmal werde sie hinaufhoppen, und man werde Sachen dabei sehen und hören, daß es einem gewiß verginge, das drittmal auch noch zu schlagen, so hat es jedem den Mut genommen und jeder hat lieber seine Guldi ruhig im Sack gehabt, als vielleicht sein Leben gewagt an eine Kiste voll - ich weiß nicht was. Jetzt einmal hört ein jungs Bürschle, aber ein waghalsiger Kerle, auch von der Kiste und der Krott im Wald und sagt: "Bigok! ich hol den Schatz, ich fürcht mich nicht vor Blendwerk." Richtig nimmt er das Herz in beid Hände und geht mit einem Stecken dem Wald zu, und wie er zwischen den Tannen fortschlendert, hört er auf einmal einen wunderlieblichen Gesang aus der Höhe, er sagt aber zu ihm selber: "Ich los nicht, bis ich den Schatz habe", und läuft weiter und findet nach einer Weile die Schatzkiste und eine fürchtige Krott auf dem Deckel. Er besinnt sich nicht lang, faßt weidlich einen Streich und schlägt das grausige Tier herab vom Lid. Derweil aber singt es noch lieblicher als früher in der Höhe, und die Krott hoppet wieder hinauf auf die Kiste. Doch mein Bürschle nicht faul und schlägt zum zweitenmal, und die Krott hoppet noch einmal hinauf. Auf das nimmt aber der Gesang Weisen an, daß es dem Bürschle tief in seine junge Seele greift und er es unmöglich mehr verheben kann und halt übersich schaut. Da sieht er grad über seinem Kopf ein schönes Mädle in einem schneeweißen Röckle auf einem Nebelein sitzen und einen Mühlstein an einem Grashalm halten, und stuchenbleich vor Schrecken duckt er sich weidlich und lauft, was er laufen kann, durch den Wald hinaus. Hätte er aus Wunderwitz nicht in die Höhe geschaut und noch einmal - das drittemal - geschlagen, so wäre er steinreich geworden.


Quelle: Die Sagen Vorarlbergs. Mit Beiträgen aus Liechtenstein, Franz Josef Vonbun, Nr. 92, Seite 97