Das Nachtvolk bestraft die Neugier

Vor undenklichen Zeiten leibte das Nachtvolk tagsüber in den Bergen um die Alpe Gulm. Wenn es dunkelte, brachen diese Zwergmänner auf und zogen talwärts dem Dorfe zu. Durchstreiften sie eine Waldlichtung, dann sah man vom Tal aus ihre Lichter, die unsicher im Mondlicht flackerten. Im Dorfe wanderte das Völkchen durch die Gassen und sang, während in den Stuben gesponnen wurde.

Ein Bauer war aber nicht zufrieden, daß er das Nachtvolk nur singen hörte. Er wollte die Männlein sehen. Der Neugierige setzte sich bei anbrechender Dunkelheit an den Wegrand und wartete auf das Nachtvolk. Schon sah er die Lichter aufglimmen und schließlich den nächtlichen Zug, der sich au! ihn zubewegte. Ein Zwerg beobachtete das Hindernis am Wege und in der Meinung, es sei ein Baumstrunk, schlug er seine Axt in das Knie des Neugierigen. Die Axt steckte so tief, daß der Bauer sie nicht herauszuziehen vermochte. Er mußte an der Stelle sitzen bleiben und warten, bis das Nachtvolk zurückkam und ihn erlöste.
Satteins

Quelle: Vom alten Glauben, Sagen aus dem Kreis Dornbirn, Walter Weinzierl u. Theo Bildstein, Dornbirn 1944, S. 11f