DER SECHSTE
(Aus Dr. F. J. Vonbuns Sagen; nach Dr. Spiegels Aufzeichnung).

Es waren einmal sechs Strolche im Dorfe, die sich leicht zusammengefunden, denn „wenn zwei Kögen auf dem Ried sind, so treffen sie einander", sagt das Sprichwort. Der älteste dieser Lotterburschen zählte nicht viel über dreißig Jahre. Sie waren eins in aller Schlechtigkeit. Eine entlegene Kneipe, in der jahraus jahrein kein ordentlicher Mensch verkehrte, hatten sie zum Hauptquartier gewählt. Dort ging es wüst zu, - bei Wein und Spiel achtete ihre freche Zunge auch das Heiligste nicht, ja der Allmächtige selbst ward von den berauschten Gesellen herausgefordert; Hölle und Teufel wurden verhöhnt und geleugnet, das Menschenleben sollte eben mit dem letzten Atemzuge vollständig zu Ende sein. Wieder hatten sie eines Abends in frevelhafter Trunkenheit ihre gotteslästerlichen Reden gegenseitig gesteigert, als sie am Schlüsse sich vornahmen, durch den Besuch des einzigen schlechten Hauses im Dorfe, in dem drei liederliche Weibsbilder wohnten, ihre verworfene Ausgelassenheit zu krönen. Bald standen alle sechs in stiller, nicht sehr dunkler Nacht vor dem verrufenen Hause. Einer verließ die Bande, um irgendwo eine Leiter zu erhäschen. In dessen Abwesenheit fiel es plötzlich dem jüngsten Gesellen auf, daß gleichwohl ihrer sechs auf dem Platze harrten. Wild auffahrend wies er seine Gespanen auf den Zuwachs hin, es waren jedoch nur ihre alten bekannten Gesichter da, und unterdessen kam der Leiterträger. Auch diesem verkündeten sie den Spaß. Er zählte die Anwesenden, es waren nur sechs. Deshalb lachte er die Genossen aus und stieg die Leiter zum Kammerfenster empor, wo er bald Einlaß fand. Aber siehe da, jetzt standen doch wieder sechs vor dem Hause! Nun begann der trotzige Übermut gar rasch zusammenzusinken, wie vor dem Föhn die hohe Schneelast. Die frechen Burschen blickten einander mit entsetzten Gesichtern an und stoben, von bleicher Furcht gejagt, von dannen; selbst der Warnungspfiff für den Eingestiegenen war ihnen in der Kehle steckengeblieben.

Des andern Tages am frühen Morgen läutete die Totenglocke. Der Anführer der Bande war nicht mehr,-man hatte ihn tot in seinem Bette gefunden mit dunkelblaurotem Gesichte und hervorgequollenen Augen. Die fünf Kameraden kamen nicht mehr zusammen, sie fürchteten, der Sechste möchte sich bei ihnen wieder einfinden. Der Schauder der Nacht wich nicht mehr von ihnen. Einer nach dem ändern verließ zerrütteten Gemütes die Heimat und verdarb und starb in der Ferne.


Quelle: Walter Weinzierl, Sagen aus Dornbirn, Dornbirn 1968, S. 92