DER WASSERGEIST ZU WILHELMSDORF

In Wilhelmsdorf, unweit des heutigen Meidlinger Bahnhofes in Wien, war vor vielen Jahren ein Wassertümpel, in dem sich ein Wassergeist aufhielt. Es gab in dieser Gegend stets Wasser, das an manchen Stellen sehr tief war und auch bei der größten Hitze nicht austrocknete. Manchmal kam es vor, daß neugierige Leute, die sich die Wohnung des Wassergeistes ansehen wollten, von ihm ins Wasser gezogen und gefangen wurden.

Der Wassergeist hatte die Gewohnheit, das Wasser durch Aufwühlen des Schlammes zu trüben. Wenn dann die Buben dort badeten und es sank einer unter, so konnten ihm die andern nicht helfen, und er mußte ertrinken. Wäre das Wasser klar gewesen, so hätten sie die gefährlichen Stellen gesehen und wären ihnen wenigstens ausgewichen.

Viele Leute beobachteten, wie sich der Wassergeist beim Vollmondscheine mit einem großen Kamme sein langes, gelbes Haar kämmte und wie er in einem Rock, der ihm bis zu den Fersen reichte, auf der angrenzenden Wiese spazierenging.

Den Leuten, die in der Nähe wohnten, tat er nichts, nur sooft in der Gegend jemand gestorben war, zeigte er es den Nachbarn an. Er fing dann zu winseln an, daß es einem durch Mark und Bein ging, oder er machte einen schauerlichen Wind, sobald jemand im Wasser ertrunken war.

Quelle: Die schönsten Sagen aus Wien, o. A., o. J., Seite 219