DER STOCK IM WEG

Im Jahre 1115, also vor sehr langer Zeit, war die Gegend von Ober Sankt Veit stark bewaldet und an einem Berghang am Rande des heutigen Lainzer Tierparks stand eine riesige hohle Linde. Weil dieser Baum weit über den Gehweg ragte, wurde er "Stock im Weg" genannt.

In seinem Inneren hauste ein schrecklicher siebenköpfiger Drache, der immer wieder die Ställe der umliegenden Bauernhöfe heimsuchte, um Ziegen, Schafe und Kälber zu rauben. Sogar vor den Bewohnern machte er nicht halt, und so kam es vor, daß nicht selten eine Magd oder ein Hirte beim Verrichten der Arbeit auf Nimmerwiedersehen verschwand.

Eines Tages spielte ein kleines blondgelocktes Mädchen auf der Wiese vor dem Haus seiner Eltern. Plötzlich verfinsterte sich der Himmel und der siebenköpfige Drache flog heran, sah das Kind, riß es mit seinen fürchterlichen Klauen an sich und entführte es in den Wald. Die verzweifelte Mutter versuchte ihm zu folgen, aber der Drache war zu schnell für sie.

So irrte die junge Frau durch den dichten Wald bis es dunkelte und bald bemerkte sie, daß sie den Heimweg nicht mehr finden konnte. Nach einiger Zeit sah sie ein sanftes Licht durch die Bäume schimmern und ging darauf zu. Bald stand sie vor einer Einsiedelei, in der ein frommer Mann, namens Veit, lebte. Sie erzählte ihm ihre traurige Geschichte und bat ihn um Gottes Willen um Hilfe.

Der heilige Veit nahm das Kruzifix von der Wand, hielt es hoch über seinen Kopf und führte die junge Frau in den Wald zurück. Schon sehr bald hatten sie den Drachen gefunden, denn er schnarchte so laut, daß man es meilenweit hörte. Die beiden betraten mutig die große Höhle, in welcher der Drache schlief. Sankt Veit schwang das Kreuz dreimal hoch über das schauerliche Untier. Kaum war er damit fertig, sanken die sieben Köpfe zu Boden und der Drache tat seinen letzten feurigen Atemzug.

In einer Nische der Höhle erblickte die Mutter ihre kleine unversehrt gebliebene Tochter und schloß sie überglücklich in die Arme.

In Windeseile sprach es sich herum, daß der heilige Veit den Drachen besiegt hatte, und die junge Mutter und viele Menschen dankten ihm, indem sie ihm viele milde Gaben in seine Einsiedelei brachten.

Quelle: Wien in seinen Sagen, Eva Bauer, Weitra 2002, S. 239