KALVARIENBERG

von Josef Weinleber aus Wien, Wörtlich, 1953

Alt-Wiener Gigerlfutter, Dåtteln, Feign,
Papierschirm, Teddybärn und Kindergeign,
Wurschteln und Puppen, Blechuhrn, Gummibålln,
mit Vornam ausstaffierte Jausenschåln,
vü' Taschelziacher und kan Detektiv,
der ideale Druckknopf »Nur ein Griff«,
Pistolen, Tomahawks und Federhaubn,
ein Durchanand und Wirbel, net zum glaubn,
Kruppzeug von Madeln, dreizehn, vierzehn Jåhr,
verwogne Kappelbuam mit pickte Håår,
Holzteller, Kollöffeln und Schåchtelwerch,
echt brandgemålt: »Gruß vom Kalvariberg«,
Bamkraxler, Ratschen, Trummeln, Luftballaun,
a Schreihåls: »Hier die letzte Sensatiaun«,
dazwischen Kinderg'wirkst und Kinderglück,
versoffne Tippler, gierig auf an Tschik,
blecherne Saxophon und Zeppelin,
kopfgroße Juxpaketln und nix drin,
kandierte Äpfeln, Zelteln, Kokosnüß,
Wurstzeug aus Marzipan, mit Fliagnschiss',
»Das Wunder-Ei, zehn Groschen nur ein Stück«,
und wieder Kinderg'raunz und Kinderglück,
der erste schöne, wårme Täg im März,
dazua das guade, ålte Wienerherz,
wås in sein Leichtsinn, in sein Übermuat
auf sein ?rt fåsten und in sich gehn tuat,
von ?schermittwoch bis Kårsamståg nein –
So wårs, so is 's, und so Solls immer sein.

Der Kalvarienberg in Hernals, Stich, Privatbesitz Harald Hartmann

Der Kalvarienberg in Hernals
Stahlstich Wien 1887

Der Kalvarienberg in Hernals, Stich, Privatbesitz Harald Hartmann

Kalvarienberg in Hernals (“Prospect deß Calvari-Bergs zu Hermals”)
Stahlstich

Kreuzwegstation am Kalvarienberg in Hernals
© Harald Hartmann, März 2006

Der Kalvarienberg (von Helga Maria Wolf)

er Kalvarienberg in Hernals wurde auf Initiative des Jesuitenpaters Karl Mussard in einem ehemaligen Zentrum der evangelischen Konfession angelegt. Der Weg hatte - nach Jerusalemer Tradition - sieben Stationen, die sich im Stephansdom, auf der Alserstraße und in Hernals befanden, wo eine Grabkapelle errichtet wurde. Zum Kirchweihfest 1639 fand die erste pompöse Prozession statt, an der Kaiser und Hofstaat teilnahmen.

Am Beginn des Zuges gingen Ordensgeistliche mit weißen Fahnen, dann die Kleriker des Pazmaneums, dann 50 weißgekleidete adelige Schüler der Jesuiten - sie trugen Bilder, rote Damastfahnen und brennende Kerzen. Es folgten „Volk", Hofleute, der Klerus von St. Stephan mit dem Bischof, der Kaiser und sein Bruder, Bürger und Akademiker. In Hernals angekommen, weihte der Bischof mittels eines päpstlichen Rituals den Grundstein, und der Kaiser fügte diesem eine Gedenkmünze bei. Vom Rückweg wird eine wunderbare Begebenheit berichtet: Zwei Teilnehmer, die vor ein sechsspänniges Gefährt stürzten, konnten im letzten Moment gerettet werden. Nach Zerstörungen während der zweiten Türkenbelagerung - nur an der Alserkirche blieb eine alte Station erhalten - baute man den Kalvarienberg rund um die Kirche auf und erneuerte ihn Ende des 19. Jahrhunderts.

Neben der Kirche erwartet der Kalvarienbergmarkt die Wallfahrer. Bis heute ist der „Baumkraxler" sein Markenzeichen. Das geschnitzte Männchen, das sich an einem Stab auf- und abschieben läßt, erinnert an den biblischen Zachäus, der in Jericho auf einen Baum stieg, um Jesus besser sehen zu können (Lukas 19, 1-10).

Kalvarienbergmarkt Hernals © Harald Hartmann

Kalvarienbergmarkt von der Hernalser Hauptstrasse aus gesehen
© Harald Hartmann, März 2006

Zur Zeit Josephs II. kritisierte ein Schriftsteller: „Fremde, die diesen Ort zum ersten Mal besuchen, müssen sich nicht wenig wundern, wenn sie oben auf dem Kalvarienberg Christus am Kreuz erblicken und dann die unzähligen Boutiken von Würsten, Zuckerwerk, Hernalserkipferln, welschen Salamien, Küß und andere Viktualien am Fuß des geheiligten Berges sehen. Wenn sie ein altes Weib rufen hören: .Das Lied zum Leiden Christi um 1 kr, und gleich neben diesem ein anderes Weib ruft: Meine Limonien, meine Feigen um 1 kr.', so werden sie nicht glauben, daß auf dem Kalvarienberg Christen, am Fuß des Berges aber Heiden wohnen."

Am Ostermontag bieten sich Ausflüge - in Anlehnung an die Bibelstelle von den Emmausjüngern (Lukas 24, 13-35) auch Emmausgehen genannt - an. Ein beliebtes Ausflugsziel der Wiener ist das Pulkautal, wo die Hauer zum Besuch einladen. Das „Greangehen" wurzelt in einem alten Arbeitsbrauch. Einst baten die Weinbauern ihre Arbeiter nach dem Winter und zu Beginn der neuen Saison in die Kellergasse, wo roter Wein, weißes Brot und schwarzes Fleisch als Spezialitäten kredenzt wurden. Daran knüpft sich die volkstümliche Etymologie: „So mancher geht eben aus und kommt schief heim."

Der Brauch, die freien Tage zu Ostern für Reisen zu nützen, findet sich schon 1908: „Die vom Glücke Begünstigten befinden sich in der Osterwoche unterwegs nach Rom oder Neapel, wo nicht nach Jerusalem. Der Lloyd, die Reisebureaus und der Österreichische Touristenclub führen Scharen nach dem Süden und Südosten, und besonders beliebt sind seit etwa zwei Jahrzehnten Osterausflüge nach Abbazia und Dalmatien. Ziemlich groß ist zu Ostern die Zahl der Hochtouristen, die weit in die Alpen ausgreifen. Die Südbahn hatte zu Ostern 1906 in 1752 Zügen nicht weniger als 263.000 Personen zu befördern. Karfreitag und Karsamstag je 30.000, Ostersonntag und Ostermontag je 100.000."

aus: Helga Maria Wolf, Geheimnisvolles aus Wien, Riten und Sitten vom Mittelalter bis heute, Wien 1996, S. 120 - 121.

Kalvarienbergmarkt Hernals © Harald Hartmann

„Bamkraxler“
© Harald Hartmann, März 2006


Kalvarienbergmarkt (von Leopold Schmied)

Die Fastenzeit spielt keine besondere Rolle. Ein bewußtes Fasten wird nur selten eingehalten. Aus dem halbkirchlichen Brauchtum hat sich allen Anfeindungen zum Trotz bis heute nur die Kreuzwegverehrung gehalten, welche einem einzigen Kreuzweg, nämlich dem Hernalser Kalvarienberg gilt. Seine Geschichte ist gut erforscht und durch Gustav Gugitz (Gugitz, Der Hernalser Kalvarienberg zur Fastenzeit, Blümml-Gugitz, Von Leuten und Zeiten im alten Wien, Wien 1922, S. 7 ff.) mehrfach gewürdigt worden, auch nach ihrer Volkskundlichen Seite hin. Die Aufklärung hat die lauten barocken Frömmigkeitsäußerungen in Hernals eingeschränkt und mit ihnen auch das um sie herumwuchernde Volkstreiben. Ein gewisser Restbestand hat sich jedoch bis heute erhalten. Der Kreuzweg selbst selbst um die Kirche wird stark besucht.

Kalvarienbergmarkt Hernals © Harald Hartmann

Kalvarienbergmarkt Wien, Hernals
© Harald Hartmann, März 2006

Mehr schauend als betend gehen ihn die Wiener entlang. Einzelne erinnern sich auch noch, daß der „Körberljud“ früher bespuckt und beschimpft wurde, jener Henkersknecht, der das Nagelkörbchen trägt. In späteren Tagen noch mußte ihm eine eiserne Nase eingesetzt werden, da die steinerne stets abgeschlagen wurde. Ob hier ältere Vorstellungen, wie die vom Heidenwerfen usw., dahinterstehen, wie Gugitz vermutet, sei dahingestellt. Die kleine Wallfahrtskapelle links von der Kirche wird an diesen Tagen auch sehr viel besucht und Kerzen werden in großen Mengen geopfert. Am volkstümlichsten ist jedenfalls das Buden- und Händlerwesen rund um die Kirche, wo jahrmarktsmäßig Kleinkram vom Andachtsbild bis zur Leckerei verkauft wird.

Kalvarienbergmarkt Hernals © Harald Hartmann

Kalvarienbergmarkt Wien, Hernals
© Harald Hartmann, März 2006

Die beiden beliebtesten Kinderspielzeuge, die bei diesen Buden gekauft werden, sind der „Bamkraxler" und die „Rodl". Der „Bamkraxler" ist eine Art automatischer Maibaumkletterer, eine Gliederpuppe, welche auf einem Baum aus Draht auf- und abwärtshantelt(Vgl, auch Karl Spieß, Der Bamkraxler, ein altes Brauchtum in der Großstadt. (Monatshefte für Deutsche Erziehung, Wien 1926, Bd. 4, S 169ff), Die „Rodl" (=Rolle) ist ein Lärminstrument, eine kleine Pergamentrommel, einseitig offen, in der ein Roßhaar befestigt ist, das bei rascherer Drehung das Instrument zu einem heulenden Geräusch veranlaßt. Der ganzen Einrichtung nach ist das hausgewerblich erzeugte Spielzeug dem niederösterreichischen „Büllhefen" durchaus ähnlich und verwandt, nur eben als städtische Kleinform (Diese spielzeugmäßige Rommelpottform (vgl. Hermann Ruth-Sommer, Alte Musikinstrumente, Berlin 1920, S. 144) tritt sicherlich nicht zufällig gerade nur zu festlichen Anlässen hervor. Sie bewahrt vielmehr wie manche andere Teile dieses Buden- und Kindertreibens eine Erinnerung an ältere Festgestaltung mit auf und müßte unter diesem Gesichtspunkt näher untersucht werden). Im nächsten Zusammenhang mit diesem Wesen stehen noch jene alten Weiber, welche Heiligenbildchen verkaufen - meist drei Stück zugleich -, auf deren Rückseiten Lotterienummern stehen. Bis vor wenigen Jahren waren bei den Buden auch noch die gemeinhin kirchlich verbotenen, bei allen österreichischen Wallfahrten feilgehaltenen Drucke älterer nicht approbierter Segen und Gebete, wie Marienlängen, Coronagebete, Tobiassegen und ähnliche erhältlich, von amulettwertigen Dingen gibt es nur mehr Glücksringe (mit Kleeblättern) aus Silber.

Kalvarienbergmarkt Hernals © Harald Hartmann

Kalvarienbergmarkt in Hernals Gebäckstandl
© Harald Hartmann, März 2006

Sonst ist das Budenwesen mehr für Kinder bestimmt, wie auch die verschiedenen Belustigungsmöglichleiten dörflich-jahrmarktlicher Art.

Aus: Leopold Schmidt, Wiener Volkskunde, ein Aufriß, Verlag Gerlach und Wiedling, Wien 1940, S 46 f.

Quelle: Email-Zusendung Harald Hartmann, 12. März 2006
© Harald Hartmann