DAS MARIA-PÖTSCH-BILD

In alten Zeiten als es in Wien noch keinen Postdienst gab, trugen Boten, die Läufer genannt wurden, Briefe und Pakete aus. Man wählte dafür nur besonders zuverlässige und ehrliche Männer, denn man wollte sicher sein, daß wichtige amtliche Briefe oder wertvolle Gegenstände auch tatsächlich bei den Empfängern abgeliefert wurden.

In der Leopoldstadt lebte Florian, der schon viele Jahre das Amt des Stadtläufers rechtschaffen ausübte, in einer kleinen Kammer direkt unter dem Dach eines alten Hauses. Es war ein sehr hübsches und ordentliches Zimmer, in dem er in einer Ecke einen kleinen Hausaltar errichtet hatte. Es fehlte nur noch ein schönes Heiligenbild, das den Altar schmücken sollte.

So betrat er einen Laden in der Inneren Stadt, der mit Devotionalien handelte, trug dort dem Kaufmann sein Anliegen vor und bat ihn, ihm bei der Auswahl des Bildes behilflich zu sein. Der Mann empfahl ihm das Gnadenbild "Maria Pötsch" zu wählen, das vor Feuer und Fieber schützen sollte. Das Original dieses Bildnisses war 1697 aus Ungarn nach Wien geholt worden und hatte die Stadt während der Belagerungen in den Türkenkriegen beschützt. Nun stand es auf dem Hochaltar in Sankt Stephan und manchmal geschah es, daß das Marienbild weinte.

Florian, der sehr beeindruckt von den Tränen der Maria war, kaufte die Kopie des Bildes und schmückte damit seinen Hausaltar. Dort stand sie lange Zeit und so manches Gebet wurde von dem Stadtläufer davor gesprochen.

Eines Tages als Florian gerade einen wichtigen Brief zur Ratsstube brachte, hörte er vom Stephansturm den Feuerruf und sah die rote Fahne, die in die Richtung der Leopoldstadt wies. Er ahnte Schlimmes und lief so schnell er konnte zu seinem Wohnhaus. Dort mußte er sehen wie es lichterloh brannte, nichts verschonten die prasselnden Flammen und nur die Grundmauern blieben stehen. Alles, was Florian besaß, hatte er verloren.

Zu Tode betrübt stocherte er in den verkohlten Überresten und als er einen Mauerstein zur Seite schob, fiel sein Blick auf das völlig unversehrt gebliebene Maria-Pötsch-Bild von seinem Hausaltar. Er hob es auf und frohe Hoffnung erfüllte sein Herz. Er glaubte nun an einen glücklichen Neubeginn durch die Gnade des wundersamen Bildnisses.

Ein freundlicher Nachbar bot ihm eine kleine Stube an, in der er für die erste Zeit wohnen konnte. Jeden Abend nach getaner Arbeit verrichtete Florian sein Gebet vor dem Bild, das er als einziges Besitztum in der Kammer aufgehängt hatte.

Als er wieder einmal davor niederkniete, erfüllte sich der winzige Raum mit strahlendem Licht und eine wunderschöne zarte weißgekleidete Frau erschien vor ihm. Mit sanftem Lächeln legte sie einen prall gefüllten Geldbeutel vor das Gnadenbild und verschwand.

Nun hatte alle Not ein Ende. Florian konnte sich eine neue Wohnung mieten und alle Dinge, die er zum Leben brauchte, anschaffen. Das Bildnis aber hängte er an einen Baum in der Praterstraße, damit viele Menschen davor um Hilfe beten konnten. Einige Zeit später wurde das Maria-Pötsch-Bild in die Pfarrkirche Sankt Nepomuk gebracht und dort für die Gläubigen aufgestellt.

Quelle: Wien in seinen Sagen, Eva Bauer, Weitra 2002, S. 137