DER TEUFEL IM SPIEGEL

Vor vielen Jahren wohnte in der Leopoldstadt, nahe des ersten Bezirkes, ein junges hübsches Mädchen namens Clara, das ein sehr freies und ungezügeltes Leben führte. Stundenlang schminkte es sich vor dem Spiegel und konnte gar nicht aufhören sein Gesicht zu bewundern.

Eines Tages wurde das Mädchen sehr krank und als es ihm schon zum Sterben schlecht ging, versprach es im Gebet sein liederliches Leben zu ändern, wenn es nur wieder genesen würde. Die Fürbitte half und schon nach kurzer Zeit erfreute sich die hübsche Clara wieder bester Gesundheit. Die guten Vorsätze aber hatte sie vergessen und schon bald saß sie wieder vor ihrem Spiegel und betrachtete sich mit Stolz. Sie puderte sich ihr Gesicht weiß, zog die Augenbrauen schwarz nach und färbte den Mund rot.

Als Clara so in ihre Malkunst vertieft dasaß, begann auf einmal das Glas des Spiegels leise zu knacken. Sie hielt ihr Ohr ganz nahe an die Spiegelfläche und konnte deutlich ein leises Knistern hören. Während sie nach Sprüngen im Glas suchte, bemerkte sie plötzlich, daß ihr Gesicht nicht mehr zu sehen war. Die Fläche war leer, als ob niemand davor säße. Verwundert wischte sie mit der Hand über den
Spiegel und fühlte sich plötzlich von einer übermächtigen Kraft festgehalten.

In selben Moment starrte Clara eine verzerrte hämisch grinsende Teufelsfratze aus dem Spiegel entgegen. Völlig verzweifelt rief sie: "Ich werde nicht mehr eitel sein und nur mehr sittsam und fromm leben!"

Doch für Versprechungen war es zu spät! Der Teufel sprang aus dem Spiegel, packte Clara an den Haaren und fuhr mit ihr hinab in die Hölle.

Noch lange Zeit drohten ungeduldige Mütter ihren eitlen Töchtern mit den Worten: "Du schaust so lange in den Spiegel, bis der Teufel herausspringt!"

Quelle: Wien in seinen Sagen, Eva Bauer, Weitra 2002, S. 144