DIE GEFANGENNAHME VON RICHARD LÖWENHERZ

Am 12. Juli 1191 wurde die Festung Akkon im Morgenland von den Kreuzrittern nach gefährlichen und blutigen Kämpfen erobert.

Der Babenbergerherzog Leopold V., der Tugendhafte genannt, hatte besonders tapfer gekämpft und pflanzte so als erster seine Fahne auf den Turm der Festung. Als Richard Löwenherz, der englische König, das sah, war er darüber so erbost, daß er die Fahne herunterreißen ließ. Leopold fühlte sich beleidigt, schwor Rache und weigerte sich weiter an der Seite von König Richard zu kämpfen. Einige Tage später trat der Herzog mit seinem Gefolge die Heimreise an.

Der Kreuzzug konnte nicht siegreich beendet werden, und Richard war gezwungen ein Friedensbündnis mit den Türken zu schließen. Dann bestieg er mit seinen Mannen ein Schiff, das sie in die Heimat bringen sollte. Als sie in einen Sturm gerieten, strandete die Fregatte an der Küste und wie durch ein Wunder überlebten König Richard und einige wenige seiner Ritter das Unglück. Es blieb ihnen nichts anderes übrig als ihren Heimweg zu Fuß und als fromme Männer verkleidet anzutreten. Da es damals viele Pilger auf Wanderschaft gab, fielen sie nicht weiter auf.

Sie aßen und schliefen äußerst bescheiden und kamen so unbehelligt bis in Leopolds Geltungsbereich. Es war Richard zu Ohren gekommen, daß der Herzog Kundschafter ausgeschickt habe, um ihn zu finden und gefangen zu setzen. Deshalb wagte er es nicht mehr bei hellem Tageslicht zu wandern, sondern er versteckte sich mit seinen Leuten in den Wäldern und sie schlugen sich nur mehr bei Nacht durch unwegsames Gebiet.

Inzwischen war der Winter ins Land gezogen, es wurde immer kälter und sie mußten trotzdem unter freiem Himmel schlafen. Auch mit der Beschaffung des täglichen Brotes klappte es nicht mehr, denn sie wagten es nicht, mit ihren fremdländischen Münzen zu bezahlen, und so hungerten sie schon seit Tagen.

Richard und seine Männer erreichten Erdberg, ein kleines Weinbauerndorf in der Nähe von Wien, und sahen dort ein stattliches Jagdschloß, das im Besitz von Leopold V. war. Aus den Fenstern der Küche drang verführerischer Duft von gebratenem Fleisch und anderen Köstlichkeiten. Im Hof standen viele Pilger und hofften auf eine milde Gabe. Löwenherz und seine Ritter mischten sich unter die Menge. Richard betrat die Küche und bat um Essen. Aber da der König kein fremdes Geldstück hergeben wollte, verlangte der Koch von ihm, den Bratspieß zu drehen.

Als der Küchenmeister nach einiger Zeit nachschaute, ob das Spanferkel schön braun gebraten sei, erkannte er in dem Pilger König Richard, den er während des Kreuzzuges oft gesehen hatte. Er rief nach den Soldaten, aber Löwenherz verlangte zu Herzog Leopold geführt zu werden. Diesem überreichte er sein Schwert, das er unter der Kutte getragen hatte. Dann wurde er mit seinen Rittern nach Wien in das Verlies in der Hofburg gebracht.

Nach den Weihnachtsfeiertagen wurde Richard auf die Feste Dürnstein an der Donau verlegt, wo er eine lange Zeit gefangengehalten wurde. Als ihn sein treuer Hofsänger Blondel endlich fand, konnte er mit Hilfe einer großen Summe Lösegeldes von Leopold freigekauft werden.

Quelle: Wien in seinen Sagen, Eva Bauer, Weitra 2002, S. 152