Das Bärenkreuz

In der Vorstadt Margareten ging es vor Zeiten einmal lustig zu. Ein wandernder Gaukler trieb einen braunen Bären vor sich her, geradewegs auf das Schloß Hundsturm zu. Die hohen Herrschaften sollten an dem Tanz des Bären ihre Unterhaltung haben. Aus allen Dörfern der Umgebung liefen die Kinder lärmend hinter dem Bärentreiber her. Der gute Meister Petz kümmerte sich wenig um das Geschrei, dafür schimpfte sein Besitzer umso mehr. Einige vorwitzige Burschen trieben es auch wirklich zu arg. Sie konnten es nicht unterlassen, das gutmütige Tier durch Zurufe zu necken und mit langen Gerten zu reizen. Einige Male brummte der Bär unwillig und zerrte an seinem Ring, den er durch die Nase gezogen hatte. Dann stob die Schar schreiend nach allen Seiten davon, der Wärter aber hatte seine liebe Mühe, den Bären wieder zu beruhigen. Die lockeren Vögel ließen sich jedoch nicht abschrecken, sondern kamen aus allen Gassen immer wieder herzugelaufen.

Und da geschah es nun, daß die Geduld des Bären zu Ende ging. Wütend richtete er sich auf, schlug den Wärter nieder und suchte das Weite. In der jetzigen Bräuhausgasse fand er ein offenes Haustor. Da hinein stürzte er sich und drang bis in die Wohnstube vor. Dort stand unter einem lebensgroßen Kreuz eine Wiege, in der ein Kindlein friedlich schlief. Voll Entsetzen eilten die Bewohner des Hauses mit Prügeln und Stangen herbei, um das Untier zu verjagen.

Aber sie blieben wie erstarrt stehen, als sie sahen, wie das mächtige Tier das Kindlein ringsherum beschnüffelte, ihm dann die rosigen Händchen leckte und sich schließlich ruhig wieder davontrollte.

Die Eltern des Kindes fielen vor dem Kreuz auf die Knie und dankten Gott innig für die Rettung des Kindes.

Das Haus hieß von dieser Zeit "Zum braunen Bären".

Das Bärenkreuz aber wurde in der Familie durch Jahrhunderte hoch in Ehren gehalten. Die letzten Besitzer widmeten es im Jahre 1855 der Lazaristenkirche auf dem Neubau, wo es noch heute zu sehen ist.

Quelle: Wien in Sage und Legende, Zens, Klemens, Wien 1955
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