DAS BÄRENKREUZ

Eines Tages zog ein wandernder Gaukler durch die Vorstadt Margareten. Er besaß, neben einem dressierten Hund und einer Gans, einen riesenhaften Braunbären, dem er das Tanzen beigebracht hatte. Der Gaukler war auf dem Weg zum Schloß Hundsturm, wo er den adeligen Herrschaften zu ihrer Belustigung die Kunststücke des Tieres vorführen wollte.

Während er durch die Vorstadt ging, liefen immer mehr Menschen aus den umliegenden Dörfern zusammen um seinen Tanzbären zu bestaunen. Da kamen kleine Kinder und ältere Leute, die, ein wenig ängstlich und auf Abstand bedacht, den Bären bestaunten, was sich das große Tier auch ohne Unruhe gefallen ließ.

Doch auch einige freche und laute Burschen verfolgten ihren Weg und reizten den Bären durch Geschrei und indem sie ihn mit Weidenzweigen schlugen. Das vorher noch so gutmütige Tier begann zu brummen und zerrte an dem Seil, das durch einen Metallring in seiner Nase gezogen war. Nur mühsam konnte der Gaukler ihn wieder beruhigen. Doch immer wieder ärgerten die Jünglinge das arme Tier und liefen hinter ihm her.

Plötzlich richtete der Bär sich zu seiner ganzen imposanten Höhe auf, schlug seinen Besitzer mit einem Prankenhieb nieder und suchte sein Heil in der Flucht. Die Leute rannten in Panik in ihre Häuser und verbarrikadierten die Türen. Der Tanzbär rannte durch die Straßen und in der heutigen Bräuhausgasse fand er eine offene Tür, durch die er in das Haus eindrang.

Er kam in eine Wohnstube, in der unter dem Kreuz im Herrgottswinkel eine Wiege stand, in welcher der neugeborene Sohn des Hauses schlief. Die Mutter, die seinen Schlaf bewachte, rief verzweifelt um Hilfe, und schnell kamen der entsetzte Ehemann und auch andere Bewohner mit Stangen bewaffnet, um das Tier zu verjagen.

Verblüfft blieben die Helfer stehen, als sie sahen, wie der große Bär ganz vorsichtig das Kind beschnüffelte und seine kleinen Hände ableckte. Dann verließ er langsam und bedächtig, an den zurückweichenden Leuten vorbeigehend, den Raum und trollte sich in den nahegelegenen Wald.

Die Eltern beteten vor dem Kreuz ein Dankgebet für die wunderbare Rettung ihres Sohnes und von nun an hieß das Haus "Zum Braunen Bären".

Quelle: Wien in seinen Sagen, Eva Bauer, Weitra 2002, S. 173