Madonna in den Schanzen
Von Stammersdorf bis Esslingen ziehen sich lange Erdschanzen (Täben)
hin, welche Wien schützend in weitem Bogen umrahmen. Einmal lag der
Feind vor den Toren der Hauptstadt und da waren diese Schanzen die verläßlichste
Wehr für unsere Soldaten. Am Vorabende der blutigen Schlacht bei
Aspern soll es gewesen sein, da stand auf den Schanzenhöhe beim Rendezvous
auch ein blutjunger, aber eichenstarker Deutschmeister auf Wachposten.
Im Herzen loderte ihm Kampfgier, in der Seele ruhte felsenfestes Gottvertrauen.
Sein scharfes Auge überblickte die knisternden Wachfeuer im dunklen
flachen Land. Plötzlich war es ihm, als sähe er eine schimmernde
Heldenjungfrau mit flammendem Krummsäbel die Böschung heraufwallen.
Rasch donnerte er der Erscheinung das Losungswort entgegen, allein es
erfolgte keine Antwort. Nun legt der Posten die Flinte an und blitzschnell
steht sie groß und erhaben vor ihm, daß ihm vor Angst die
Sinne schwinden. Habe Mut, kaisertreuer Krieger, redet sie ihn an, ich
will dir einen Schutzpfennig geben, der dich retten soll! Dein Mütterlein
hat ihn dir erbeten! Mit diesen Worten reichte sie dem Soldaten einen
blinkenden Gnadentaler, worauf das Bild der Madonna war. Die Erscheinung
verschwand. Der Wind pfiff über die Erdwälle, es knisterten
die Lunten, die Streitrosse schüttelten sich. Nun graute der Morgen.
Kanonendonner meldete den Schlachtbeginn. Die Kugeln summten wie Mücken,
unser Krieger wich nicht vom Platze. Er stand in den ersten Reihen. Da
- ein Kugelanprall und seine Hand hing an einer Sehne. Ein Kamerad schnitt
sie ihm weg und verband ihm den Stumpf. Trotz der Wunde blieb der Krieger
im Feuer. Wie aber abends die Sonne blutrot niedersank, hatte der Tod
reiche Ernte gehalten. Der heldenmütige Deutschmeister hat dann einen
ehrenvollen Abschied erhalten. Seine abgetrennte Hand und die Marienmünze
zeigte er seinem Obersten. Mit der goldenen Medaille auf der Brust ist
er dann heimgekommen. Zeig mir deine Rechte, Kind! rief ihm sein Mütterchen
von ferne entgegen. Der Krieger wies ihr den vernarbten Stumpf. O, ich
hab" davon gewußt! fuhr sie fort. Danke der lieben Himmelsfrau,
daß du nicht tot bliebst im Felde. Den Madonnentaler aber bewahrte
der Krieger sorgsam auf und heute ist er im Besitze seiner braven Kindeskinder.
Anmerkung: "Rendezvous" heißt das alte kaiserliche Jagdschloß auf der Höhe des Loimerbühels im oberen Wald bei Stammersdorf. Unter Kaiser Franz I. fanden hier die großen Parforcejagden statt.
Quelle: Schukowitz, Kriegs- und Schlachtensagen:
Zeitschrift des Vereins für Volkskunde 9, 1899, S. 383 f.
Aus: Will-Erich Peuckert, Ostalpensagen, Berlin 1963, Nr. 80, Seite 44