DER BÄCKERAUFZUG

Während der zweiten Belagerung Wiens durch die Türken hatte sich die Bäckerinnung sowohl durch Tapferkeit als auch durch angestrengte Arbeit zur Versorgung einer so großen Menschenmasse mit dem nötigen Brote sehr ausgezeichnet.

Zur Belohnung wurden daher den Bäckerjungen mehrere Freiheiten eingeräumt, von welchen jedoch die meisten, unter andern das Recht, auf dem Hof Kegel schieben zu dürfen, bald wieder abgestellt wurden.

Nur der sogenannte Bäckeraufzug hat sich am längsten erhalten.

Am Osterdienstag jedes Jahres nämlich zogen etwa fünfzig Bäckerjungen mit fliegender Fahne unter türkischer Musik durch alle Gassen Wiens.

Die Söhne der Meister hatten hierbei dreieckige Hüte, mit weißen Federn und einem Sträußchen von Futtergold geziert, auf dem Haupte; sonst waren sie alle gleich in veilchenblaue Staatsröcke und weiße Westen gekleidet.

Vor jedem Bäckerhause hielt der Zug; es ward aufgespielt, die Fahne geschwungen und aus einem großen Pokale dann auf die Gesundheit des Meisters getrunken. Bei den Vorstehern des Handwerkes, vor dem Hause des Bürgermeisters und auf dem Burgplatze vor der Wohnung des Kaisers wurde die Fahne dreimal geschwungen und der Trinkspruch weit lebhafter ausgebracht. Wenn dann der Zug beiläufig fünf Stunden inmitten einer großen Schar von Zuschauern seine Runde in der Stadt vollendet hatte, endigte das Fest mit einem Schmause auf der Herberge, oder die Bäckerjungen fuhren mit offenen Kaleschen in ihrem prunkhaften Aufzuge herum. Mit dem Jahre 1809 nahm auch dieser Aufzug sein Ende.

In das Jahr 1683 verlegt die Sage auch die Entstehung des so beliebten Wiener Gebäckes, der Kipfel.

Der Bäckermeister Peter Wendler, dessen Geschäft sich damals in der Stadt, Grünangergasse, befand, war über die glückliche Errettung der Stadt aus der Türkengefahr außerordentlich erfreut und stimmte vom ganzen Herzen in den allgemeinen Jubel, der deshalb in Wien herrschte, ein. In allen Straßen wurden Loblieder auf die Sieger und Spottlieder auf die Besiegten gesungen.

Man konnte es den Wienern von dazumal wahrlich nicht verargen, wenn sie ihrem Unmute und Spott gegen die barbarischen Türken in allen möglichen Formen Ausdruck zu verleihen suchten. Der eine gab seinem Hunde den Namen Sultan, der andere benannte den seinen Türk; ein dritter erfand ein derbes Sprüchlein; ein vierter schmückte sein Haus mit einem zutreffenden Schild. Bei Stichelreden kamen die Worte, Mufti, Pascha, Pantoffelheld und anderes in Gebrauch.

Der Bäckermeister Wendler wollte aber seinen Spott auf eine besondere Art zum Ausdrucke bringen. Er kam nämlich auf den Einfall, den türkischen Halbmond durch eine neue Art von Gebäck, welches er nach dem ehemals auf dem Gipfel des Stephansturmes prangenden Halbmonde Gipfel oder Kipfel nannte, lächerlich zu machen.

Seine Idee, noch viel mehr aber das neue schmackhafte Gebäck fand allgemeinen Anklang bei den Wienern; er konnte anfangs nicht genug Kipfel zum Verkaufe bringen. Bald fand das neue, vielbegehrte Gebäck auch bei allen andern Wiener Bäckern Eingang, und seit jener Zeit sind die Kipfel ein beliebtes, ja sogar weltberühmtes Gebäck.

Freilich macht die Chronik dem ehrsamen Meister Wendler die Erfindung dieses Backwerkes streitig; denn sie erwähnt, daß die Kipfel ein uraltes Wiener Gebäck seien, welches schon zur Zeit Leopolds des Glorreichen allgemein bekannt gewesen wären.

In dem "Fürstenbuch" des Wiener Dichters und Chronisten Johann Ennenkel (Jans der Ennenkel) geschieht desselben Erwähnung, es heißt darin:


"Do prachten im die pechken
Chiphen und weiße Flecken,
Weißer dan ein Hermelein,
Une sne der kund nit weißer sein"

("Sodann brachten die Bäcken
Kipfel und weiße Flecken,
Weißer als Hermelin,
Selbst der Schnee konnte nicht weißer sein.")


Quelle: Die schönsten Sagen aus Wien, o. A., o. J., Seite 198