Der liebe Augustin

Einer der beliebtesten Volkssänger im alten Wien soll der liebe Augustin gewesen sein, der in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts in den besuchtesten Schenken seine Lieder und Spaße beim Klange seines Dudelsackes vortrug und stets ein geneigtes Ohr bei den im Wirtshaus Erholung suchenden Bürgern fand. An jenem Tag, wo der Volkssänger Augustin in einem Lokal erschien, konnte der Wirt immer auf eine fette Einnahme rechnen. Anders wurde dies freilich, als das furchtbare Pestjahr 1679 ganz Wien in Furcht, Schrecken und Jammer stürzte. "Zu Wien aber", erzählt nun der schlesische Rechtskandidat Johann Konstantin Feigius, "hörte man nunmehr kein ander Lied singen als dieser ist gestorben, dieser stirbt, und jener wird bald sterben, denn in der Stadt waren schon dreihundert Häuser gesperrt, welche völlig ausgestorben, und auch wenn in beiden Lazaretten schon täglich eine große Menge Leute begraben wurde, so wuchs doch die Zahl der Infizierten darinnen so groß, daß sie sich zuweilen auf die dreitausend und mehr Personen hinaus erstreckte. So waren um die ganze Stadt herum fast alle Lust- und Weingärten, Gassen und Straßen mit toten und kranken Leuten angefüllt, ja sogar, daß man nicht Leut' genug haben konnte, die Toten unter die Erde zu bringen, und daher es bisweilen geschah, daß die mit dem Tode allbereit Hingehenden, auf die Wagen unter die Toten gelegt und miteinander in die hierzu gemachten Gruben geworfen wurden. Als sie einem namens Augustin, der ein Sackpfeifer gewesen, welcher zwischen der kaiserlichen Burg und St. Ulrich auf selbigem Weg wegen eines starken Rausches gelegen und geschlafen hat, begegnet sind, ist dieser Mensch von den Siechknechten ohne einiges Vermerken auf den Wagen, in Ansehung, daß er die böse Krankheit hätte und in Totenzügen allbereit begriffen, geladen, neben anderen Toten weggeführt und in eine Gruben geworfen worden. Weilen man aber die Körper nicht eher mit Erden verschüttete, bis eine Reihe derselben nach der Länge und Breiten völlig vollgewesen, ist besagter Mensch, nachdem er die ganze Nacht unter den Toten ohne Aufhören geschlafen, erwacht, nicht wissend, wie ihm geschehen oder wie er möge dahinkommen sein, hat aus der Gruben hervorsteigen wollen, solches aber wegen der Tiefen nicht zuweg' bringen können, weswegen er dann auf den Toten so lang herumgestiegen und überaus sehr geflucht, gescholten und gesagt hat, wer Teufel ihn dahin mußte gebracht haben, bis endlich mit anbrechendem Sonnenschein die Siechknechte mit toten Leuten sich eingefunden und ihm herausgeholfen haben. So hat ihm dieses Nachtlager auch nicht das wenigste geschadet." Der liebe Augustin soll, nachdem die Seuche vorüber war, dieses grauenvolle Abenteuer noch oft gereimt vorgetragen haben, was ihm schallenden Beifall und klingenden Sold eintrug.

Quelle: Gugitz Gustav, Die Sagen und Legenden der Stadt Wien, Wien 1952, S. 150 f.

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Am 10. September 1679, zu einer Zeit, als die Pest in Wien besonders verheerend wirkte, saß der stadtbekannte Volkssänger und Dudelsackpfeifer Augustin ganz einsam und niedergeschlagen in der Schenke "Zum roten Dachel" am Fleischmarkt. Kein Gast kam in die Schenke, und Augustin trank aus Verzweiflung noch immer ein Maß Weißbier hinzu, so daß er, ziemlich angeheitert, spätabends das "Rote Dachel" verließ. Wie er zum Stadttor hinaustorkelte, fiel er in eine Grube, wo er einschlief. Am folgenden Morgen gewahrte er, in eine noch nicht zugeschüttete Pestgrube gefallen zu sein. Er schrie um Hilfe und wurde von den Pestknechten herausgezogen.

Für Augustin blieb dieses Abenteuer ohne Folgen. Er überstand die Pestzeit und brachte in den Schenken bei jeder Gelegenheit sein Erlebnis in Reimen singend zum Ausdruck. Am 10. Oktober 1705 ging der bereits 62Jährige alte Mann nachts angeheitert nach seiner Wohnung im Eyßlerischen Hause auf der Landstraße, wo ihn der Schlag traf. Der liebe Augustin wurde auf dem großen Nikolaigottesacker (III., Augustinerplatz) begraben.

Quelle: Mailly, Anton von, Allerlei Merkwürdigkeiten vom Wiener Stephansdom, Wien 1923, S. 102 f.

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Dergleichen Geschichte erzählt man auch von einem Sackpfeifer, welcher im Wirtshaus entschlafen, für einen Pestverstorbenen gehalten und in die Gruben auf andere unbedeckte Körper geworfen, da er aber erwacht und um sich gegriffen, vermeint, daß es diejenigen wären, mit welchen er getrunken, deswegen vermeint sie zu ermuntern, zog aus dem Sack seine Pfeifen hervor und pfiff, dadurch dann die mit einer andern Leiche ankommenden Totenträger nicht wenig erschreckt hat.

Quelle: Gugitz Gustav, Die Sagen und Legenden der Stadt Wien, Wien 1952, S. 214 f.

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Bei dem großen Elend und der ungemeinen Verwirrung, welche zur Zeit der Pest 1679 stattfand, geschah es nicht selten, daß mit den Toten zugleich Lebende auf die Wagen gebracht und in die Grube geworfen wurden, wie es namentlich mit einem Manne, namens Augustin, einem Sackpfeifer, geschah, welcher zwischen der kaiserlichen Burg und St. Ulrich auf dem Wege berauscht zur Erde lag und schlief.

Dieser Mensch wurde von den Siechknechten ohne weitere Beachtung auf den Totenwagen geworfen, in der Meinung, er sei von der Krankheit behaftet und liege in den letzten Zügen, hierauf nebst den Toten weggeführt und in die Grube geworfen.

Da man aber die Toten nicht früher mit Erde verschüttete, als bis die Grube mit Leichnamen gefüllt war, so schlief der berauschte Augustin unter den Toten bis zum heranbrechenden Morgen, ohne weiteren Schaden zu erleiden; jedoch konnte er sich bei seinem Erwachen aus der tiefen Grube nicht selbst heraushelfen, wozu ihm erst die durch seinen Hilferuf herbeigeeilten Leute behilflich waren. Übrigens schadete ihm dieses schauerliche Nachtlager nicht im mindesten.

Quelle: Realis (= Gerhard Cockelberghe-Duetzele), Geschichten, Sagen und Merkwürdigkeiten aus Wiens Vorzeit, Wien 1846, S. 110 f.

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Die große allgemeine Pest von 1679 kam auch nach Wien, wo sich in der Leopoldstadt im Frühjahr die ersten Spuren zeigten. Nach Leopold des I. Abreise im August ergriff allgemeine Angst die Gemüter, alles, was fliehen konnte, tat es. Selbst den türkischen Tschauch ergriff trotz seines Fatalismus das Entsetzen. - Niemand wollte sich zum Krankenwarten und als Totengräber gebrauchen lassen, und die Ärzte mußten mit Gewalt gehalten werden, den Kranken beizustehen. Tote und Sterbende lagen zu Hunderten auf den öffentlichen Plätzen, und diese Unglücklichen wurden häufig untereinander auf dem nämlichen Wagen und in die geöffneten Pestgruben geworfen. In diese Zeit fällt die schauderhafte Anekdote des beliebten Sackpfeifers und Bänkelsängers Augustin, den die Siechknechte, mit ihrem Pestwagen zum Burgtor hinaus gegen St. Ulrich fahrend, in seiner gewöhnlichen Trunkenheit ganz starr auf dem Wege fanden, auf ihr Fuhrwerk und mit den Toten in die Grube warfen. Weil diese aber nicht eher mit Erde verschüttet wurde, als bis eine Reihe Leichname ausgefüllt war, schlief er die Nacht hindurch ruhig fort, und konnte, als er in der Frühe erwachte, nicht begreifen, wie er dahin gekommen sei. Da die Grube tief war, so konnte er sie nicht eher verlassen, als bis die Pestknechte mit einer anderen Ladung kamen. Dem Wüstling schadete aber sein entsetzliches Abenteuer nicht - und er spielte noch lange Jahr zu Tanz und Trunk lustig auf.

Quelle: Realis (= Gerhard Cockelberghe-Duetzele), Geschichten, Sagen und Merkwürdigkeiten aus Wiens Vorzeit, Wien 1846, S. 242 f.