Der nächtliche Totengesang

Seltsam ist, was zur Pestzeit 1679 ein Infizierter kurz vor seinem Ende erzählte. Er ging eines Tages vor Ausbruch der Krankheit zur Nachtzeit beim Mondscheine von Hernals nach der Stadt; als er auf ein nahe dabei liegendes Feld kam, hörte er in der Ferne in der Luft ganz deutlich das Placebo Domino in regione vivorum von vielen klagenden Stimmen singen. Er blieb stehen, um sich zu überzeugen, ob er nicht unrecht höre; allein er hörte den kirchlichen Trauergesang mehrmalen und so deutlich, daß er daran nicht zweifeln konnte. - In der Folge wurde gerade in der Gegend, wo dieser Totengesang ertönte, eine große Totengrube gemacht, worin viele an der Pest Gestorbene begraben wurden.

Quelle: Realis (= Gerhard Cockelberghe-Duetzele), Geschichten, Sagen und Merkwürdigkeiten aus Wiens Vorzeit, Wien 1846, S. 199