Der Sieveringer Sagenkreis um Karl und Agnes

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Als einst ein frommer Jägerbursche im Wald jagte, bemerkte er auf der Jägerwiese einen langen Zug Wallfahrer. Er schloß sich ihnen an und sie gelangten zu einer geheimen Tür, durch die alle eintraten. In der unterirdischen Gegend befand sich ein prächtiges Schloß; alle Andächtigen zerstreuten sich in ihre Wohnungen daneben. Der Bursche aber folgte einer lieblichen Frau in das Schloß. Nach einigen Tagen sah er die stillen Bewohner sich wieder zu einer Wallfahrt sammeln. Um wieder auf die Oberwelt zu kommen, nahm er Abschied von seiner Beschützerin. Vorher aber füllte sie seine Weidtasche mit Kohlen. Oben verschwanden die Wallfahrer vor seinen Augen. Während er, unter einem Baum ruhend, seine schwere Tasche untersuchte, in der er Gold fand, weckte ihn der Förster mit einem derben Schlag aus seinen Betrachtungen.

"Warum hast du dich" fragte sein Herr, "seit drei Jahren aus meinem Dienst begeben?"

Der Bursche, der höchstens eine Woche fortgewesen zu sein glaubte, erzählte das Vorgefallene und bot dem Herrn die Hälfte der Goldstücke an. Damit nicht zufrieden, erschoß dieser den armen Burschen. Als er aber zu Hause nichts als Kohlen fand, erschoß er sich selbst. Der Baum, unter dem dies geschah, starb ab und die Leute sollen aus seinem Holze jene Jägersäule errichtet haben, die noch auf der Jägerwiese steht.


Quelle: Die Sagen und Legenden der Stadt Wien, herausgegeben von Gustav Gugitz, Wien 1952, Nr. 6, S. 14f
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Anja Christina Hautzinger, April 2005.