Die Hochzeitslinde

Schräg gegenüber der Sieveringer Kirche an der Straße breitete einst die mächtige, alte Dorflinde ihre gewaltigen Äste aus und gab zur Blütezeit Tausenden von emsigen Bienen süßesten Honigsaft.

Vor vielen Jahren ging es an einem Sommernachmittag zur Zeit des Segens unter diesem Baume lebhaft zu. Es wurde die Hochzeit eines Sieveringer Paares gefeiert.

Oben in der Krone war ein Brettergemach gezimmert, allwo die Brautleute und deren nächste Verwandte wacker dem reichlichen Hochzeitsmahle und noch mehr dem Hochzeitstrunk zusprachen. Unten, um den Stamm herum, waren Tische und Bänke aufgestellt, da fast das ganze Dorf Platz genommen hatte. Musikanten spielten auf und es währte nicht lange, da wurde um die Linde und vor der Kirche unter Singen und Jauchzen getanzt und gestrampft, daß es nur so eine Art war. Am meisten aber johlte und tobte der schwer betrunkene Bräutigam, der in tollem Übermute auf die Tanzenden herunterschrie, protzig Geld hinunterwarf und die edle Gabe Gottes hinunterschüttete.

Da läutete es zum Segen und vom nahen Pfarrhause schrin in vollem Ornate der Priester zur Kirche. Unmutig sah er das Treiben der Menge und bat die Leute, wenn sie schon nicht selbst zum Segen kämen, doch die Andacht der anderen nicht zu stören. Wirklich verstummte der Lärm und die Worte des Priesters schienen die Leute zur Vernunft zu bringen. Da schleuderte plötzlich der Bräutigam von der Linde herab eine schwere Flasche nach dem Priester und schrie: "Was, Pfaff, du willst uns das bißchen Freude nicht gönnen? Da hast du! Fahr zur Hölle!" Die Flasche traf zwar den Priester nicht; doch dieser rief, da alles gütige Zureden nichts half, den Zorn und die Strafe Gottes auf die Frevler herab. Gejohle und Hohngeschrei war die Antwort.

Aber die Strafe blieb nicht aus. Über dem nahen Hermannskogel ballte sich schweres Gewölk, senkte sich tiefer und tiefer und hüllte bald den Ort in unheimliches Dunkel. ... Plötzlich flammte ein Feuerstrahl auf ... ein prasselnder Krach; der Blitz hatte in die Linde eingeschlagen! Und nun rauschte ein in Sievering noch nie erlebter Gußregen hernieder; der Bach trat aus seinen Ufern und überschwemmte Straße und Platz. Als das Wasser sich verlaufen hatte, fand man die Leichen der erschlagenen und ertrunkenen Hochzeitsgäste. Nur die Leiche des Bräutigams war nicht zu finden. Den hatte der Teufel zu tausend Fäserchen zerrissen. Von der Zeit an hieß der Baum die "Hochzeitslinde".

Quelle: Die Sagen und Legenden der Stadt Wien, herausgegeben von Gustav Gugitz, Wien 1952, Nr. 40, S. 62f
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Anja Christina Hautzinger, April 2005.