Der Hungerbrunnen
Brunnen, die unter dem Namen Hungerbrunnen, Trockenheit, Mißernte
und Hungersnot ankündigten, je nachdem sie viel Wasser gaben oder
versiegten, gab es in vielen deutschen Gegenden. Auch in Wien gab es einen
solchen in der ehemaligen Vorstadt Hungerbrunn, die davon den Namen angenommen
hatte. Dieser Brunnen gab plötzlich ungemein viel Wasser. Seit unvordenklichen
Zeiten war dieser Brunnen versiegt, und es ging die Sage, daß Dürre
und Mißwachs eintreten, wenn er wieder Wasser gäbe. Die Wiener
entsetzten sich über dieses Unglück verheißende Ereignis
und sahen mit schwerem Bangen in die Zukunft.
Kaum war der Frühling des Jahres 1271 dahin, so hörte jeglicher
Regen auf. Glühend fielen die Sonnenstrahlen auf die Erde nieder,
alles versengend, kahl standen die Bäume, leer die Felder. Alle Brunnen
und Quellen waren versiegt. Endlich ging auch diese schwere Zeit vorüber;
aus den Wolken kam der Segen, strömte der Regen, wieder plätscherten
die Quellen, murmelten die Bäche, aber der Hungerbrunnen war versiegt,
und die Wiener wünschten sich wohl alle, daß es so für
alle Zeiten bleibe.
Quelle: Die Sagen und Legenden
der Stadt Wien, herausgegeben von Gustav Gugitz, Wien 1952, Nr. 120, S.
129f
Für SAGEN.at korrekturgelesen von
Anja Christina Hautzinger, April 2005.