Die gespenstische Katze

Durch einige Jahrhunderte, erzählte man, soll zu gewissen Zeiten eine große, weiße Katze über der Bedachung eines alten Hauses am Katzensteig ihre nächtlichen Wanderungen halten und dem Vorwitzigen, der sich ihrem unheimlichen Gange allzusehr näherte, mit ihren scharfen Krallen gar übel mitgespielt haben. Der Besitzer dieses Hauses, ein übler Geselle, führte ein wüstes Leben, das seine ehrsame Hausfrau mit stiller Duldung hinnahm. Als der Wüstling in die Schlingen eines ränkevollen und ebenso lasterhaften Weibes fiel, faßte das Liebespaar den verbrecherischen Entschluß, die Frau des Hauses heimlich aus dem Wege zu räumen. Man bereitete eine tödliche Speise, wozu man sich auch des sogenannten Rattenmarkes bediente. Durch die Vorsehung geschah aber eine Verwechslung der Speisen, so daß der Todesbissen von der Giftmischerin selbst genossen wurde. Es war die Wirkung des Giftes, daß die Erkrankte sich für eine Katze hielt. Sie ging auf allen vieren, fetzte in ihrer Tollheit durch das ganze Haus, über Boden und Dach und ahmte dabei das Geschrei einer Katze nach. Dieses Übel steigerte sich von Tag zu Tag, von Stunde zu Stunde und endete erst, als die Unglückliche von der höchsten Zinne des altertümlichen Daches hinabstürzte und sich das Genick brach. Seitdem war sie verdammt, als weiße Katze umzugehen.

Quelle: Die Sagen und Legenden der Stadt Wien, herausgegeben von Gustav Gugitz, Wien 1952, Nr. 14, S. 28
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Anja Christina Hautzinger, April 2005.