Die Rache der Toten

Vor langen Jahren war die Stephanskirche von einem Gottesacker umgeben, auf dem sich mehrere Karner befanden, in denen die Gebeine der Toten aufbewahrt wurden. In einem solchen Beinhause flammte vor einem Christusbild ein Ewiges Licht. Als ein Mesner von St. Stephan einmal mit seinem Freund des Nachts über den Friedhof ging, verlöschte ihnen der Sturm die Laterne. Der Mesner, der etwas über den Durst getrunken hatte, forderte seinen Freund auf, die Laterne an dem Ewigen Licht wieder anzuzünden, was dieser aber ablehnte. Darauf ging der Mesner allein in das Beinhaus, obschon ihn dabei doch etwas die Furcht ankam. Aber um sich Mut zu machen, rief er laut: "Nun, ist kein guter Mann oder Freund da, der mir das Licht nachtragen kann, damit ich was sehe! Ihr braucht doch kein Licht mehr, da ihr doch alle längst schon schlaft!"

Als er nun seine Laterne anzünden wollte, flog ihm plötzlich etwas an die Brust wie ein Scheit Holz, aber schmal und weiß. Während er zum Schutze die Hand vorhielt, flog schon wieder ein Scheit her und in solcher Folge, so daß ihm schaurig zu Mute wurde und er schließlich gar nicht mehr wußte, wie lang dies dauerte. Da tönten zwölf Glockenschläge vom Turme herab und der Spuk war aus. Der Mesner, der sich halbtot in das Freie schleppte, fiel draußen bewußtlos nieder. So fand man ihn, während das Beinhaus über und über mit Knochen bedeckt war. Der Mesner fiel in eine schwere Krankheit und starb bald darauf.

Quelle: Die Sagen und Legenden der Stadt Wien, herausgegeben von Gustav Gugitz, Wien 1952, Nr. 42, S. 64f
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Anja Christina Hautzinger, April 2005.