Das rote Mandl

Ecke der Freyung und Tiefer Graben stand einst ein Häuschen, in dem sich eine Kellerschenke befand. Hier versammelten sich vorzüglich fahrende Schüler und allerlei Künstler, um sich bei einem Glas frischen Weines gütlich zu tun, wobei die frohen Zechbrüder allerlei Allotria trieben. Eines Tages trat in den gemütlichen Kreis ein sonderbar aussehender Mann, der kein anderer als der damals hochberühmte Doktor Faust war. Seine Anwesenheit erregte großen Jubel, denn seine wundersamen Kunststücke waren weit und breit bekannt, und so baten ihn die lustigen Zecher, er möge auch ihnen etwas vorzaubern. Faust dankte für den freundlichen Zuruf, hieß die Gäste warten und ließ sich dann auf einen der Stühle nieder. Der Hausknecht brachte ihm nun ein tüchtiges Glas Wein. Weil dieses aber gar zu voll war, verschüttete er etwas davon. Da sagte Faust:

"Wenn du mir noch einmal so viel des Weines verschüttest, freß ich dich mit Haut und Haar!"

Dieser nichts weniger als freundliche Zuruf ärgerte aber den Hausknecht, und als er dem Doktor Faust wieder das Glas füllte, schenkte er es absichtlich so voll, daß der Tisch überschwemmt wurde. Da sperrte aber Faust den Mund auf - und verschwunden war der Hausknecht. Faust ergriff dann einen Wasserkübel und leerte ihn mit einem gewaltigen Zug. Entsetzen ergriff die Anwesenden, und flehentlich bat der Wirt, der so viel vermögende Doktor möge ihm doch seinen Aufwärter wiedergeben, ohne den er gar nicht sein könne. Ruhig sagte Faust: "Mache die Tür auf und schaue auf die Stiege!" Und richtig, ganz oben auf derselben saß der arme Bursche, triefend von Wasser und zähneklappernd vor Kälte. Als er wieder in die Stube trat, sagte er mit schlecht verhehlten Zorne zu dem Doktor:

"Gewiß will ich mit Euch nichts zu tun haben, denn ihr seid mit dem Teufel im Bunde."

"Teufel hin, Teufel her!" antwortete Faust, "hüte dich nur, mir wieder so einzuschenken!"

Bald erholten sich die Zecher von ihrem Schreck, und nun drehte sich das ganze Gespräch nur um den Gottseibeiuns. Da stand einer der Anwesenden auf - es soll der Maler und Kupferstecher Hirschvogel aus Nürnberg gewesen sein - und erbat sich, den Teufel an die Wand zu malen. Jubelnd stimmten die übrigen zu, Hirschvogel nahm ein Stück Kohle vom Herde und zeichnete auf die Wand die Figur eines Funkers in sitzender Stellung mit gekreuzten Beinen, in Kleidern vom üblichen edelmännischen Schnitte, umflattert von einem Mäntelchen, zackig wie ein Drachenflügel auf dem Kopfe saß ein mit einer Hahnenfeder geziertes Hütchen, unter dem ein höhnisch grinsendes Gesicht hervorsah.

Kaum war die Figur fertig, so stand Faust auf und sagte:

"So, jetzt seht ihr den Teufel an der Wand ich will ihn euch aber lebend zeigen."

Das Zimmer verdunkelte sich plötzlich und die Zeichnung fing an, sich zu bewegen. Die Kleider wurden feuerrot, die Puffen am Wamse färbten sich kohlschwarz, die Feder auf dem Hute wurde ebenfalls rot, das Mäntelchen grün, die Äugen des schrecklich blassen Angesichts leuchteten wie feurige Lohe, und mit einem donnerähnlichen Getöse sprang die entsetzliche Gestalt mitten unter die Gäste. Diesen wurde der Scherz zu furchtbar und mit entsetzlichem Angstgeschrei stürzten sie aus dem Keller.
"Man soll den Teufel nicht an die Wand malen?" rief ihnen Doktor Fault mit donnernder Stimme nach und ging auch seiner Wege. Die Schenke aber erhielt das Schild "zum roten Mandl", und jenes Sprichwort soll von da ab herrühren.

Quelle: Die Sagen und Legenden der Stadt Wien, herausgegeben von Gustav Gugitz, Wien 1952, Nr. 28, S. 47ff
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Anja Christina Hautzinger, April 2005.