Der Stock im Eisen
1. Fassung
Ein armer Schlosserjunge der Stadt Wien, der sich eines Tages in der
Umgebung verspätet und keinen Pfennig im Sack hatte, um sich den
Einlaß in die Stadt zu verschaffen, überdies die harte Züchtigung
seines strengen Meisters fürchtete, verschrieb seine Seele dem Bösen,
der sich ihm in dieser Not in Gestalt eines alten, rotgekleideten Männchens
als Retter zeigte. Der Junge machte jedoch die Ausnahme, daß der
Vertrag nur dann gültig sein sollte, wenn er eine Sonntagsmesse versäumen
würde.
Am anderen Tage kam das rote Männlein zum Meister des Jungen und
bestellte für eine Eiche im nahen Wienerwalde einen Eisenring und
daran ein so künstliches Schloß, daß es keine menschliche
Hand mehr öffnen könne. Meister und Gesellen wagten sich nicht
an die Arbeit, die ihnen zu kunstvoll war; der Lehrjunge aber, pochend
auf den heimlichen Beistand des Bösen, übernahm die Verfertigung
des Schlosses und brachte es glücklich zustande.
Nachdem er Schloß und Band an den Baum und an das daranstehende
Häuschen eines Holzschlägers gelegt hatte, ward der Junge freigesprochen
und zum Gesellen gemacht; das rote Männlein aber nahm den Schlüssel
des Kunstschlosses mit sich fort.
Der neue Geselle ging nun auf Reisen und kam auch nach der kunstreichen
Stadt Nürnberg, wo er so übernatürliche Proben von Kunstfertigkeit
an den Tag legte, daß der erschrockene Nürnberger Meister ihn
entließ.
Nach Wien zurückgekommen, hörte er, es sei der Rat der Stadt
sehr böse, daß der fremde unheimliche rote kleine Mann den
Schlüssel zu jenem Schlosse mit sich genommen und daß demjenigen
das Meisterrecht zugesagt worden sei, der einen neuen Schlüssel dazu
machen würde.
Das tat nun der Geselle. Damit war aber dem roten Männlein nicht
gedient; dieses schlich sich daher unsichtbarerweise in die Werkstätte
und verdrehte, während der Schlosser den Schlüssel schweißte,
den Schlüsselbart. Der Schlosser, der diesen Streich bemerkte und
gehört hatte, daß es auch dumme Teufel gebe, schob den Schlüssel
noch einmal, aber mit verkehrtem Barte in den Ofen hinein, so daß
das rote Männlein in blindem Zorn ihn wieder umkehrte, wodurch der
Bart wieder recht stand. Der große Rat ging hierauf mit dem Schlosser
zur Eiche und war Zeuge, wie das Schloß wirklich geöffnet wurde.
Der Schlosser ward an Ort und Stelle zum Bürger und Meister gemacht.
Er schlug dabei jubelnd den ersten großen Nagel in den Baumstamm
zum ewigen Angedenken und warf springend und singend den Schlüssel
in die Höhe. Dieser fiel aber zu jedermanns Erstaunen nicht wieder
auf die Erde herab.
Indessen stieg der Ruf von des Schlossermeisters Geschicklichkeit von
Tag zu Tag, und so auch sein Glück und sein Reichtum. Oft und bitter
bereute er nun den Leichtsinn seiner Jugend und hütete sich sorgfältigst,
des Sonntags die heilige Messe zu versäumen.
Der Böse, weit entfernt, seine Beute fahren zu lassen, verwickelte
ihn nach und nach in sündliche Neigungen zum Spiele und zu einem
wüsten Leben, und als der Meister eines Sonntags in lustiger Gesellschaft
im "Keller zum steinernen Kleeblatt" unter den Tuchlauben in
Saus und Braus zubrachte, versäumte er die Stunde des Gottesdienstes.
Als es bei St. Stephan 12 Uhr schlug, taumelte der Trunkene auf. Das rote
Männlein aber stand ihm hohnlachend zur Seite, begleitete (nur ihm
sichtbar) alle seine Schritte und wurde dabei immer größer
und furchtbarer. Als sie an das Riesentor des Domes kamen, hatte der Priester
eben den Segen gespendet und das Ite missa est gesprochen. Da faßte
das zum Riesen gewordene rote Männchen den zitternden Schlosser und
flog heulend mit ihm durch die Luft.
Quelle: Die Sagen und Legenden
der Stadt Wien, herausgegeben von Gustav Gugitz, Wien 1952, Nr. 21, S.
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Für SAGEN.at korrekturgelesen von
Anja Christina Hautzinger, April 2005.