Die gestrafte Vorschau des Bräutigams

Im Jahre 1666 ging eine junge Dirne, die gern wissen wollte, was sie für einen Mann bekommen würde, bei Nacht an einen Kreuzweg in der Nähe von Wien. Allda wird sie durch ein schreckliches Gespenst dermaßen erschreckt, daß man sie des Morgens als tot allda liegen fand. Ob nun zwar sich wohl ihre Lebenskräfte wieder fanden, so blieb doch der Verstand zurück, daß man von ihr nicht vernehmen konnte, was ihr widerfahren wäre. Jedoch kam sie nach etlichen Tagen so weit wieder zu ihrer Vernunft, daß sie ausrief: "O Herr Gott, vergib es der Alten, wie hat sie mich armes Kind verleitet." Kurz vor ihrem letzten Ende, das bald darauf erfolgte, kam sie wiederum zu ihrem vollkommenen Verstand und erzählte: Als sie die sie von einem alten Weib gelehrten Worte auf dem Kreuzweg ausgesprochen, wäre ihr auf dem Dache eines Hauses gegenüber ein feuriger Sarg erschienen, worüber sie vor Schrecken als tot zur Erde gefallen.

Quelle: Die Sagen und Legenden der Stadt Wien, herausgegeben von Gustav Gugitz, Wien 1952, Nr. 44, S. 66
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Anja Christina Hautzinger, Mai 2005.