Vorwort

Die Sagen bilden das eigentliche Geschichtswerk des Volkes. In ihnen wird Geschichte aus der volkstümlichen Perspektive gesehen; es sind Erzählungen, die lange Zeit das Volk noch in allem Ernst glaubte, im Gegensatz zu den Märchen, die selbst vom Volk nur ungläubig und als volkstümliche Unterhaltung und Anreiz der Phantasie aufgenommen wurden. Der Volksglaube an die Sage ist ja gewiß längst im Schwinden begriffen, und außergewöhnliche Ereignisse, sonderbare Menschen, merkwürdige Naturereignisse, lokale Denkmale scheinbar unerklärlichen Ursprungs oder rätselhaften Charakters werden nur selten mehr in das Gewand der Sage gekleidet, um nach volkstümlicher Auffassung ihre Erklärung in einer wundervollen Herkunft oder in ebensolchen Begleiterscheinungen zu suchen, ohne die sich der Vulgus, um sie nach seiner Art zu verstehen, nicht abfinden kann. Erst das Wunder oder das Magische, das sich zur Geschichte gesellt, machte diese für das Volk bedeutend und schloß ihm auf, was ihm sonst in ihren Erscheinungen vielfach unfaßlich wäre: Die hohe Kunst und Größe eines Bauwerkes ist nicht allein der Genialität eines Menschen zu verdanken, er hat dabei überirdischen Beistand, sei es von guten oder bösen Geistern, erfahren; unsterblich ist der heimliche Kaiser, wenn er in der Erinnerung des Volkes fortleben soll, erst dann, wenn er mit seinen Getreuen im Inneren eines Berges schläft, um zur rechten Zeit zum Besten seines Reiches wieder aufzumachen; und die fromme Legende ist es, die dem Gnadenbild die Gewalt seines Heiltums, seiner Wunder verleiht.

Dieser Volksglaube, in dem sich sagenhaft entweder eine sittliche oder politische Richtung, eine kulturelle Einstellung oder eine tiefgläubige Religiosität offenbart, hat in jedem Lande je nach seinem Charakter sein besonderes Gesicht und gibt über diesen volkskundlichen Aufschluß je nach der Art und Weise, wie die Sagen gebracht werden und auf welche Motive und Elemente sie sich erstrecken. Denn in diesem Sinne liegt ja die Aufgabe der Sagenforschung und des Materials, das ihr zur Verfügung gestellt werden soll. Sie ist ein Teil der Volkskunde, die nach Rankes trefflicher Bemerkung "heute nicht mehr als eine Hilfswissenschaft der Mythologie getrieben wird, sondern deren letztes Ziel es ist, die Sonderart unseres deutschen Volkes zu erkennen, zu beschreiben, aussprechbar zu machen und zu verstehen."1)

Dieser Beweggrund soll auch in der vorliegenden Sammlung von Wiener Sagen zum Ausdruck kommen. Sie soll dem Volkskundeforscher quantitativ und qualitativ das Material in die Hand geben, um ihm über die Reste vorchristlicher, die Bestände verchristlichter oder rein christlicher Sagen Auskunft zu geben, über die bodenständigen oder jene, die man als gesunkenes Kulturgut bezeichnen möchte, da sie findigen Literaten ihren Ursprung verdanken, und die, vielleicht für die Großstadt bezeichnend, als falsche romantische Erfindungen so wohlwollende Aufnahme erfahren, daß sie für die Masse oft ein beliebteres Sagengut als die ursprünglichen wurden. "Nicht umsonst griff Literatur und Theater nach den Ritter- und Schauerstoffen, deren falsche Romantik in der Wiener Volksliteratur noch jahrzehntelang nachgeisterte, von wo der Schritt zur eigentlichen städtischen Sagenüberlieferung nicht weit ist", führt Leopold Schmidt ausgezeichnet aus.2)

Wie überall3) hat auch eine Wiener Sagensammlung erst spät eingesetzt. Nur Findlinge sind es, die sich gelegentlich in der älteren lokalhistorischen Literatur des 17. oder 18. Jahrhunderts, wie bei Laz, Bormastino, Fuhrmann u. a., oder bei fremden Besuchern Wiens, wie etwa Georg König, Allert, E. F. Brückmann usw., darbieten. Erst im dritten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts, als namentlich Josef Freih. v. Hormayrs propagandistische Tätigkeit zur Aufspürung und Wahrung historischer Überlieferungen im vaterländischen Sinne in seinem "Archiv" und seinem "Taschenbuch für die vaterländische Geschichte" einsetzte und damit auch das Sagengut einbezog, fanden sich langsam die Sammler auf diesem Gebiet ein. Sie suchten die entschwindenden Reste eines fast vergessenen Volkserbes festzuhalten, mit dem, falls es vorchristliche Herkunft verriet, die Gegenreformation schon aufgeräumt hatte und die beginnende, allen Überlieferungen abholde Großstadt, in der sich immer mehr die Aufklärung mit ihrer Feindseligkeit4) gegen alles Volkstümliche breitmachte, noch weniger Erbarmen kannte. Aber noch immer waren es in Sagensammlungen nur vereinzelte Stücke, die wieder ans Tageslicht kamen, so das köstliche Kronjuwel, die einzige von Franz Ziska überlieferte volkstümliche, in Dialekt gehaltene Fassung5) der Sage vom "Stock-im-Eisen", in seinen "Österreichischen Volksmärchen" Wien 1823. Ihm schloßen sich außer Hormayr noch J. P. Kaltenbäck in seiner "Austria oder österreichischer Universalkalender" (1840-1853) und seinen "Mariensagen" (1845), Ludwig Bechstein, der 1840 in den "Volkssagen, Mährchen und Legenden des Kaiserstaates Österreich" einen kleinen Abschnitt den Wiener Sagen widmete, und besonders Realis (Gerhard Coeckelberghe-Duetzele) in seinem "Curiositäten- und Memorabilien-Lexikon von Wien ... Wien 1846", an, schließlich Franz Josef Trimmel unter dem Pseudonym Emil in seinen "Romantisch-Historischen Skizzen aus Österreichs Vorwelt, Wien 1837", der darin manche Wiener Sage in literarischer, jedoch feinsinniger und pietätvoller Form brachte.

Noch immer war aber keine ausgesprochene Wiener Sammlung erschienen. Realis war es, der 1841 mit seinem Buch "Geschichten, Sagen und Merkwürdigkeiten aus Wiens Vorzeit" den entscheidenden Versuch wagte, wenn auch noch in der Umrahmung durch andere Erzählungen, Wien mit der ersten Sagensammlung zu bedenken. Sie entspricht freilich nur bescheidenen Anforderungen der Forschung, wie überhaupt alle weiteren Sagensammlungen bis etwa auf die von Joh. W. Holczabek und A. Winter und jene von Friedr. Kuthmayer, die einigermaßen der Wiedergabe Verständnis entgegengebracht haben. Die "Dom-Sagen, Wien 1845" von Johann Nep. Vogl sind ein rein poetischer Versuch, eine Reihe von Sagen über die Stephanskirche in Balladenform auszuwerten, wobei wohl manche Motive von anderswo hergeholt wurden.

Noch lange fand sich nach Realis kein Nachfahre mit einem besonderen Werke über Wiener Sagen ein. Dennoch scheint man den Mangel gespürt zu haben und war immerhin bemüht, da und dort in Sagensammlungen Wiener Sagen einzustreuen, wie dies etwa F. Gebhart in seinen Büchern "Die Heilige Sage" (1554), "Heilige Sagen" (1856) und "Österreichisches Sagenbuch" (1863) unternahm. Mit ihm trat Theodor Vernaleken, im Geiste seiner Zeit befangen, gänzlich in die Fußstapfen der mythologischen Schule und geriet damit in ihre Irrwege. So hat er mit dem Sagenkreis um "Karl und Agnes" auf vorchristliches Sagengut gedeutet und damit Wotan heraufbeschworen, indessen die Ausgangssage, um die sich dann bekannteste Wandersagen schlossen, das wässerige Geistesprodukt von Josef Alois Gleich aus dem Jahre 1799 war, das als sozusagen gesunkenes Kulturgut eine volkstümliche Auferstehung erfuhr (vgl. Nr. 6, Anmerkung). Eine Warnung für die mythologische Schule!

Die Sagenbildung in Wien war bei einer langen, geschichtlich bewegten Vergangenheit verhältnismäßig selten, und es war daher kein Wunder, wenn man diesen Mangel handwerksmäßig literarisch zu überbrücken versuchte und zu Anleihen griff, wenn sie sich nur halbwegs auf ein Objekt anwenden ließen, oder noch besser zu reinen Erfindungen. Man wollte leere Räume ausfüllen und suchte nun romantisch oder sensationell zu verbessern und zu ergänzen, was eine frühere Zeit an edlem Gut festzuhalten versäumt hatte. Es waren also nicht die offenen Feinde die gefährlichen Schadenstifter bei den Sagen, wie Kaltenbäck6) richtig sagt, sondern ,,die scheinbaren Freunde, die da nach Stoff und Materie jagen, den Geist aber nicht nur nicht begreifen, sondern geradezu töten. Hier will die Pointe nicht behagen; dort sind die Angaben veraltert oder zu arm; man schmelzt jene um und setzt für diese andere; die kühnen, kräftigen Spitzbogen der Vorhalle werden niedergerissen und ein kaltes, zeitgemäßes Quadratsälchen tritt an ihre Stelle. "Was wahrhaft rührend und ergreifend die alte Zeit in wenigen Zügen geschildert, das wird nun so lange gedreht und gewendet und ausgesponnen, bis die Poesie seufzend entflieht."

Man wollte um jeden Preis diese oder jene Lokalität, die einen auffallenden Namen zur Schau trug, noch durch eine romantische Erzählung in Sagenform bedeutender machen. Das war geradezu volkstümliches Bedürfnis geworden. So findet sich von 1865 bis 1867 in den Spalten des Wiener Fremdenblattes ein rüstiger anonymer Fabulant ein, der dort eine Reihe von Sagen vorführte, die noch nie in der Literatur aufgeschienen waren. Er nimmt bedenkenlos Anleihen aus anderen Sagensammlungen und überträgt sie auf Wiener Objekte. Da gibt es z.B. ein "Totendoktorhaus" in der Schönlaterngasse. Flugs entnimmt er7) von Grimm das Märchen vom "Gevatter Tod", bringt es mit diesem Haus in Verbindung, und siehe da, das Reis gedeiht und blüht, findet Bewunderung und Anklang und erscheint in den späteren Sagensammlungen immer wieder und wird Wiener Sage, freilich nur auf dem Papier, wie die meisten derart entstandenen. Erzählen wird sie niemand mehr. Ein einziges Mal findet sich bei den zahlreichen Sagen, die das Fremdenblatt veröffentlicht, eine Chiffre für den Verfasser, und zwar B. M. Und nun glauben wir den Mann, der Wien so rüstig mit einer Reihe neuer unechter und literarischer Sagen im Gegensatz zu den echten bodenständigen bedacht hat, unstreitig entdeckt zu haben. Sie tauchten alle sodann in "Albert A. Wenedikt (das ist Moriz Bermann), Geschichte der Wiener, Stadt und Vorstädte, Wien 1866", wieder auf, und es ist niemand anderer als Moriz Bermann, der nun, leider nicht immer ganz berufen, der Vermehrung des Wiener Sagengutes das Gepräge gibt. Seine manchmal sicher nicht ungeschickten Fabeleien - Bermann war sehr belesen - haben indessen Zustimmung gefunden und sind allmählich fast ein eiserner Bestand aller späteren Sagensammlungen und damit bekannter geworden als manche andere Sagen, die längst vor ihnen heimisch waren. Er war es ja auch, der so viel zum Ausbau der so stark umstrittenen und nun von mir und Leop. Schmidt endgültig geklärten Augustinlegende beigetragen hat. In "Alt-und Neu-Wien" Wien 1880, dann (anonym) in "Der Wiener Stephansdom". Wien 1878, und schließlich in der Sammlung "Alt-Wien in Geschichte und Sagen für die reifere Jugend", Wien 1865 (spätere Ausgabe 1888), war Bermann vielfach richtunggebend für die späteren Sammlungen, obschon sein führendes Wirken nicht vorbildlich für die Sagenforschung ist, da sie ihm doch auf einer falschen Fährte folgen muß. Aber wie sich das Publikum zu Josef Mois gleich bekannt hat, hat es sich mit Bermann abgefunden.

Neben ihm war es die nächste größere Sagensammlung von Job.. W. Holczabek und Adalb. Winter "Sagen und Geschichten der Stadt Wien", Wien 1883 (sie erlebte bis 1922 nicht weniger als sieben Auflagen), die in ihrer bescheidenen Haltung vielen Anklang fand. Vieles darin hat allerdings mit Sage gar nichts zu tun. Weniger zu begrüßen waren die Sammlungen von Emil Hofmann ,,Alt-Wien. Geschichten aus vier Jahrhunderten", Wien o. J., ,,Alt-Wien. Geschichte und Sagen", 2. Folge, Wien 1908, und ,,Sagen und Legenden vom Wiener Stephansdom", Wien 1904, von denen gilt, was Kuthmayer8) über die novellistische Ausmünzung der Wiener Sagen und ,,vom papierenen Gewand einer literarischen Sprache" treffend bemerkt. In den Zwanzigerjahren dieses Jahrhunderts sind noch mehrere Wiener Sagensammlungen zu verzeichnen, so Sepp Prandauer: "Alt-Wiener Marien-Legenden", Wien und Leipzig 1922, der einiges Neues bringt; Marianne Trebitsch-Stein: "Wiener Sagen", Wien 1924; "Wiener Sagen", hrsg. von der Wiener pädagogischen Gesellschaft, Wien 1922. Sie machen keinen Anspruch auf wissenschaftliche Wertung. Friedr. Umlauft gibt in "Sagen und Geschichten aus Alt-Wien", Stuttgart o. F., im wesentlichen Bermann neu heraus. Zu loben ist einzig Friedr. Kuthmayer ,,Wiener Sagen", Wien 1921 (2. Aug. 1928), der sehr verständige Bemerkungen über die Wiener Sagenausgaben bringt. Die besonders nach 1920 einsetzenden Heimatbücher der verschiedenen Wiener Bezirke haben eine dankenswerte Nachlese an Wiener Sagen gehalten.

Schließlich sei noch der berufenste österreichische Sagenforscher, Anton Mailly, rühmlich hervorgehoben, der in seine ausgezeichnete Sammlung "Niederösterreichische Sagen, Leipzig-Gohlis 1926" auch Wiener Sagen einbaute. Seine eigene Wiener Sagensammlung blieb leider ungedruckt.

Leider müssen die Wiener Sagensammlungen alle nur von Nachweisen aus der Literatur leben, die aber freilich meist auch nicht erbracht werden. Die Großstadt, die sich schon im 18. Jahrhundert durch ihre Linienwälle von der Landbevölkerung geschieden hat, besitzt keine Spinnstuben und Sagenerzähler mehr, von denen man Neues erfahren könnte. Die meisten Sagen sind auch kaum mehr im Umlauf, und Leop. Schmidts9) hat recht, wenn er behauptet, daß die Lebendigkeit der Wiener Sagen recht dürftig ist. ,,Eigentlich leben sie bloß in den Volksschullesebüchern. Erzählt wird man diese Dinge kaum hören." Sie leben also bloß noch in einer papierenen Sprache, denn nur eine einzige ist von Franz Ziska vielleicht in ihrem ursprünglichen Vortrag überliefert worden. Auch die vorliegende Sammlung kann sich leider nur des Notbehelfes der gedruckten Vorlagen bedienen. Mit Kuthmayers Bemerkung: "Die Wiener Sagen haben keine bestimmt nachweisbaren Quellen wie andere österreichische Landschaften, die man als ihre ursprüngliche Erzählform bezeichnen könnte", muß man sich also leider abfinden.

Aber was wohl längst hätte versucht werden können, das wäre ein Nachweis der Quellen, ein Terminus a quo, eine historische Behandlung der Sagen in einem Kommentar gewesen, was für ihr Alter und ihre Echtheit sprechen würde. Dies mag ja nicht immer gelingen, aber der Wille dazu sollte vorhanden sein. Im Vorliegenden ist dies erstmalig weitgehend geschehen. Der kundige Sagenforscher wird damit die literarisch erfundene und die gewachsene Sage wohl unterscheiden können. Indessen ist auch eine derart erfundene Sage aufzunehmen, wenn sie eine gewisse Tradition erhalten hat. Sagen kommen und verschwinden oder werden durch andere neue ersetzt. Wenn eine Anklang findet, so ist dies ein Einverständnis des Volkes, das auch ein gesunkenes Kulturgut bis auf weiteres gastfreundlich aufnimmt; an ihm können dann auch die Sammlungen nicht ganz achtlos vorübergehen, da auch diese gemachten Sagen, die sich zuweilen einbürgern, für den Zeitgeschmack der Bevölkerung bezeichnend sind.

Dies wurde auch in der vorliegenden Sammlung, allerdings mit einer gewissen Reserve, eingehalten. Nur ganz bedenkenlos aus anderen Quellen für Wien übernommene Sagen wurden ausgelassen, indessen aber einige als Beispiele beibehalten. Gegenüber anderen hat sie damit eine weit bedeutendere Reichhaltigkeit erzielt und damit, besonders in Hinsicht auf die legendären Motive, erbringt sie sicher Neues. Man hat diese und ihre Quellen noch wenig berücksichtigt, obschon gerade sie oft ein höheres, sicher belegbareres Alter aufweisen. Bezüglich des mutmaßlichen Alters der Sagen wird im Anhang der Versuch einer Chronologie gegeben. Sicher weist der Sagenschatz verhältnismäßig nur noch wenig vorchristliche Elemente auf, die ihren Ursprung aus dem Mythos, altem Volksbrauch und magischen Handlungen nicht ganz verleugnen können. Er zeigt dagegen den vorwiegend katholischen Einschlag seit der Gegenreformation, der sich auch in den Teufelssagen mit stark ethischer Tendenz (Pastoralsagen) vielfach zum warnenden Beispiel geltend macht. Daß das Erlösungsmotiv öfters in Erscheinung tritt, wie in den Wiener Zauber- und Geisterstücken des Volkstheaters, mag auch in diese katholische, vielleicht von den Jesuiten besonders in ihren Theaterstücken bestärkte Richtung weisen. Die zahllosen Gnadenstätten einer einst katholischen Hochburg waren natürlich mit anziehenden Legenden ausgestattet worden. Daneben sind es gelehrte Fabeln oder literarisch-romantische, unechte Sagen, die, wie auch anderwärts, stark zu volkstümlich ansprechenden Erklärungen von Orts- und Häuserbenennungen herangezogen werden, aber nicht immer sehr sinnvoll sind. Sagen auf historische Ereignisse und Personen sind nicht stark vertreten und scheinen die Wiener weniger angesprochen zu haben. Am meisten haben die Pest und die Türkenbelagerung in dieser Hinsicht sagenhafte Eindrücke hinterlassen.
Die Einteilung der Wiener Sagen, die eine solche bis jetzt auch noch nicht erfuhren, geschah im allgemeinen zum erstenmal nach den Normen, die Wehrhan aufstellt. Es gibt natürliche Grenzfälle, nach denen die Sagen an mehrfachen Stellen einzuordnen wären. Diesem Übelstand vermag indessen das Sachregister zu begegnen. Jedenfalls wurde versucht, das meist entscheidende Sagenmotiv bei der Einteilung zu bevorzugen. Auf Überschneidungen wird übrigens auch noch bei jeder Einteilung besonders aufmerksam gemacht.

Bis jetzt wurde auch keine der Wiener Sagensammlungen mit einem unumgänglichen Sach-, Orts- und Personenregister versehen, das dem Forscher die Arbeit sichtlich erleichtern würde. Auch in dieser Hinsicht wurde hinreichend Abhilfe getroffen. Als Bilderschmuck wurden einige wirklich sachliche und historische Bestände herangezogen, die der realen Anschaulichkeit dienen sollen. Möge diese bisher größte aller Wiener Sagensammlungen, die auf möglichste Vollständigkeit Anspruch macht, ihren Weg in jene Wiener Kreise finden, denen durch volkstümliches Brauchtum geheiligte Überlieferungen noch immer kein leerer Wahn sind. Gerne würde ich aber noch von wirklichen Vermehrungen und Verbesserungen hören.

Schließlich habe ich Herrn Prof. Dr. H. Giebisch für die gütige Durchsicht des Manuskriptes und viele Ratschlage und Besserungen herzlichst zu danken.

Gustav Gugitz

1) Friedrich Ranke. Volkssagenforschung ... Breslau 1935. S. 87.
2) Wiener Volkskunde, Wien-Leipzig l940, S. 79.
3) Karl Wehrhan, Die Sage, Leipzig 1908, S. 19.
4) Man denke nur daran, daß ein Friedr. Nicolai den Freiherrn von Gebler um Einsendung von österreichischen Volksliedern bat, nicht um sie zu überliefern, sondern um sie zu verspotten.
5) Vgl. Nr. 22 der vorliegenden Sammlung.
6) Austritt oder österreichischer Universalkalender 1842, S. 116.
7) Fremdenblatt 1866. 20. Mai.
8) Wiener Sagen. Wien-Leipzig 1928, S. 95
9) Wiener Volkskunde a.a.D., S. 78

Quelle: Die Sagen und Legenden der Stadt Wien, herausgegeben von Gustav Gugitz, Wien 1952, S. VII ff
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Anja Christina Hautzinger, April 2005.