ZUR HIMMELSPFÖRTNERIN

In einem Wiener Kloster lebte einst ein armes Waisenkind. Seine Eltern waren früh gestorben und sofand es liebevolle Aufnahme bei den stillen Klosterfrauen. Agathe, so hieß das Waisenkind, wuchs zu einer pflichtbewußten Nonne heran, der das verantwortungsvolle Amt einer Pförtnerin übertragen wurde. Die Zeit verging, und die junge Ordensfrau wurde älter und immer schöner. Eines nachts träumte sie von einer grünen Wiese, auf der Paare tanzten und ihr fröhlich zuwinkten. Jede Nacht wiederholte sich der Traum, denn das war der Böse, der sie verführen wollte und dessen Verlockungen sie nicht widerstehen konnte. So beschloß das Mädchen, das düstere Kloster, das ihr so lange Heimat gewesen war, zu verlassen. Heimlich schlich es in die Kapelle und legte den Schlüssel zur Klosterpforte der Muttergottes zu Füßen. Dann verließ es das stille Haus und ging in die weite Welt.

Mutig wanderte Agathe zum Kärntnertor hinaus, immer weiter, über den Semmering, bis sie müde und erschöpft in dem Räuschen eines Schmiedes liebevolle Aufnahme fand. Seiner alten Mutter, der sie ihr Geheimnis anvertraut hatte, war sie bald eine unentbehrliche Hiffie. Derjunge Schmied hatte Agathe liebgewonnen und führte sie zum Traualtar. Bald drangfröhliches Kinderlachen durch die Schmiede. Doch diese glückliche Zeitfand ein jähes Ende. Die Pest wütete im Lande und raffte jung und alt dahin. Auch die Lieben der Frau flelen dem Schwarzen Tod zum Opfer. Noch dazu brannten räuberische Banden das Haus nieder und schleppten die letzten Habseligkeiten fort. Bettelarm undeinsam standsie nun da undsehnte sich wieder nach der Geborgenheit der Klostermauern zurück. Sie wollte die Schwestern, die sie vor Jahren leichffiertig verlassen hatte, um Verzeihung bitten und wieder Nonne werden. Nach einem langen, schweren Weg erreichte sie die Pforte und sank erschöpft auf die Stufen nieder. Da öffnete sich das Tor, und die Muttergottes trat heraus. "Tritt ein, Agathe", sprach sie mit lieblicher Stimme, "nur kennst du die Freuden, aber auch die Leiden dieser Welt. Ich habe für dich die Klosterpforte bewacht, denn ich wußte, daß du wiederkommen würdest." Dann drückte die Jungfrau Maria der Heimgekehrten den Schlüssel der Klosterpforte in die Hand und ging lächelnd in den Himmel zurück. Schluchzend lief Agathe zur Oberir, und bekannte ihre große Schuld. Verwundert schüttelte die Klosterftau ihr Haupt und meinte: "Mein liebes Kind, nie bist du uni abgegangen. Immer hast du treu dein Amt versehen."

Nun wußte die Reumütige, welches große Wunder ihretweger, geschehen war. Mit Dankesworten auf den Lippen brach sie erschöpft in den Armen der Oberin zusammen.


Quelle: Der Stephansdom im alten Wien - Geschichte und Geschichten, Elisabeth Jaindl, Wien 1997, S. 34