WUNDERBILDER ZU ST. STEPHAN

Im Inneren des Domes zu St. Stephan, in der Kapelle des heiligen Kreuzes (auch Savoyenkapelle genannt, weil dort Prinz Eugen von Savoyen begraben liegt), steht ein Kreuz, darauf sieht man den Heiland in Lebensgröße, und an dem Bildnis ist besonders merkwürdig, daß der Erlöser einen dichtbewachsenen, borstigen und bestaubten schwarzen Bart hat. Es geht davon die Sage, daß diesem Bilde der Bart wachse und alljährlich am Karfreitag abgeschnitten werden müsse.

Ein andres Wunderbild ist das der Gottesmutter im Mittelschiff des Chores über dem Tabernakel, zubenannt "Unsere liebe Frau Maria Pötsch". Dieses Bild ist nur mit geringer Kunst auf Holz gemalt und war früher einmal in dem Dorfe Pötsch in der Grafschaft Zabolz in Ungarn im Besitz der dortigen Kirche, es wurde aber vom Volke nur wenig beachtet.

Da war nun einmal gegen Ende des siebzehnten Jahrhunderts der Bauer Michael Cory in der Kirche, und als er gerade recht andächtig auf das Bild hinsah, bemerkte er ganz deutlich, wie aus den Augen der Gottesmutter Tränen herabflossen.

Es erzählte das sogleich weiter. Man beobachtete nun, wie das Bild vierzehn Tage lang weinte, am meisten am Tage von Maria Empfängnis. Alsbald wurde in der ganzen Gegend, ja viele Meilen in der Runde vom Wunderbild der lieben Frau von Pötsch geredet, und viele Andächtige kamen herbei und sahen es an.

Auch Kaiserin Eleonora, die Gemahlin Leopolds I., hörte davon. Die fromme Frau ließ das Bild nach Wien bringen, wo es in mehreren Kirchen und Klöstern zur Verehrung ausgesetzt wurde. Dann befahl der Kaiser, daß das Bild für immer beim Hochaltar zu St. Stephan aufgestellt werde. Hier ist es seither auch geblieben und wird von den Gläubigen noch heutzutage ganz besonders verehrt.


Quelle: Die schönsten Sagen aus Wien, o. A., o. J., Seite 150