Vom Ende der Welt

Wenn einmal die Üppigkeit so sehr in dieser Welt überhand genommen hat, ein jeder nur mehr in Prunkgewändern einhergeht, ja die Bettler schon in kostbare Seide gekleidet sind, wenn Unzucht keine Schande mehr ist, selbst die vornehmsten Damen vor allen Leuten ihren Busen entblößen und sich jedermann feilbieten, wenn auch Verbrechen nicht mehr als Sünde gilt, dann, heißt es, ist das Ende der Welt nicht mehr fern. Zu dieser Zeit wird ein besonders fruchtbares Jahr sein, und die reifen Früchte werden am Felde derart hoch stehen, daß Roß und Reiter darin verschwinden würden; aber es wird keinen geben, der diese reiche Ernte einbringt; denn ein großer Krieg wird über das Land kommen; und dieser Krieg wird der schrecklichste sein, den die Menschheit je erlebt hat, und er wird der letzte sein. Er wird ausbrechen, wenn ihn niemand erwartet, und er wird so plötzlich da sein, daß der Bauer auf dem Acker nicht mehr Zeit hat heimzueilen, sondern nach dem Pflugeisen und der Reitel greift und sich ins Gefecht stürzt.

Aus Ost und aus West werden die Feinde in zahllosen Heerscharen zusammentreffen, alle Könige dieser Erde, alle Mächtigen und Großen werden kämpfen, ein jeder gegen jeden; und diese erbarmungslose Schlacht wird mit solcher Wut toben, daß sich das Brunnenwasser rot färben wird; und die Rösser werden vom Schlachtfeld laufen, den Sattel unter dem Bauch, bis über die Knöchel im Blut.

Aber so furchtbar dieser Krieg auch ist, er wird nur kurz dauern; so kurz, daß einer, der einen Laib Brot und ein Scherzel mit in den Kampf genommen hat, sich gar nicht zu bücken braucht, wenn ihm der Laib hinunterfällt; er wird mit dem Scherzel sein Auslangen finden. Denn so schnell wird der Krieg wieder zu Ende sein, daß der Bauer seinen stehengelassenen Zugstier gleich wieder antreiben und das Feld fertig pflügen kann.

Aber so kurz dieser Krieg auch dauert, es kommen nur wenige mit dem Leben davon, nicht viel mehr, als im Schatten eines einzigen Baumes Platz finden; und die Weibsleute werden sich wie wild um einen Stuhl raufen, auf welchem einmal ein Mann gesessen ist.

Tausende und Abertausende Leichen werden den Boden bedecken, wie weit das Auge reicht, von den verwesenden Kadavern wird der Greuel der Pest aufsteigen, und es wird weit umher nichts als Elend zu sehen und nichts als Klage zu hören sein.

Kaum hat dieser Jammer aber sein Ende, kommt ein großes Feuer über die Erde, das alles vernichtet, was da noch kreucht und fleucht, und zu Asche verbrennt; und es wird eine solche Hitze sein, daß sogar die Steine schmelzen. Die Flammen werden bis hinauf zum Himmel schlagen, die Rauchwolken werden Sonne und Mond verschlingen, die Sterne werden aufhören zu leuchten und herab auf die Erde fallen.

Und das ist dann das Ende der Welt.

Quelle: Pilcz, Karlheinz, Sagen, Märchen, Schwänke und Geschichten aus Mödling und Umgebung, Mödling 1983, Bd. 1, Nr. 11