Die Weissagung des Sem'ûn-i Safâ ("Simon der Fels")
Der Apostel und Jünger des Herrn Jesus kam auf seinen Wanderfahrten um die ganze Welt auch hierher in das Land der Deutschen. Auf seinen Rat und genau nach seinen Anweisungen erbauten die Mencâriyân (Ungarn) die Festung Wien. Auf der Bastei des Burgtores erhebt sich noch die riesige Weide, die nach dem Glauben der Giauren seinem Wanderstab entsprossen sein soll. Zu ihr wallfahrten Priester aus dem ganzen Giaurenreiche, lassen sich in ihrem Schatten nieder und erweisen ihr gewissermaßen göttliche Ehren. Sem'ûn-i Safâ kündete: Wenn in jenem Jahr, das nach der Zeitrechnung des künftigen Propheten Muhammed dem Wort Zulla (Wolke) entspricht, der große Süleyman gezogen kommt, dann fürchtet euch nicht - ihr müßt nur die Festung recht stark machen. Wenn aber in den Jahren der Worte ganim (beutebeladen) und Gunam (Beute) Sultan Yusuf Mehemmed heranrückt, dann seht euch nur ja vor und schließt Frieden mit ihm.

Die Orakelworte des Apostels sind in der Kirche des heiligen Stephan zu sehen. Und da seine erste Weissagung genau in Erfüllung gegangen ist, so steht zu erwarten, daß auch die zweite sich erfüllen wird. Wie auch aus allen ungarischen, deutschen, lateinischen und griechischen Geschichtswerken klar und deutlich hervorgeht, daß die Osmanen dereinst den goldenen Apfel von Wien und auch den goldenen Apfel des Papstes erobern werden. Die Astrologen und Priester der Giauren hingegen weissagen: Wohl werden die Türken kommen, aber mit Hilfe der Tataren werden wir sie zurückschlagen, ihnen viele Festungen entreißen und ihre Wesire töten oder gefangennehmen. Ein hochmächtiger Würdenträger wird dann um der Festung Wien willen sein Leben verdienen.

Quelle: Kreutel, Richard F., Im Reiche des goldenen Apfels (Osmanische Geschichtsschreiber, Bd. 2), Graz 1963, S. 76 f.