Der arme Sünder zu Sprottau [Szprotawa]

In Sprottau sollte einst ein armer Sünder abgeurteilt werden. Da aber die Hinrichtung zur Sommerszeit getroffen hätte, wo das Getreide noch auf dem Felde stand, so verschob man sie bis nach der Ernte, damit das Korn um den Richtplatz nicht zertrampelt werden möge. Dieser Aufschub jedoch verursachte wieder neue Kosten; denn der arme Sünder mußte bis dahin verpflegt werden.

Um diese Ausgaben zu ersparen, kam man auf den Einfall, den armen Sünder vorzurufen und ihm das Versprechen abzunehmen, daß, wenn er auf freien Fuß gestellt würde, er zu einer bestimmten Zeit nach der Ernte sich wieder einstellen und seine Strafe erleiden wolle. Dieses Versprechen ward von dem Sünder mit Freuden gegeben, und er ward frei.

Als der bestimmte Tag, an dem er wieder erscheinen und seine Hinrichtung erfolgen sollte, herangekommen war, hatte diese Kunde viel neugierige Zuschauer aus der Umgegend auf den Weg gelockt, um bei der Hinrichtung gegenwärtig zu sein. Auch der arme Sünder hatte seinem Versprechen gemäß die Reise nach der Stadt Sprottau angetreten und des Morgens sehr frühe sich unter die Zuschauer gemischt.

Als er bemerkte, daß sie schnell liefen, sagte er wider sie: „Eilt doch nicht so sehr! Wenn ich nicht dabei bin, wird aus der ganzen Sache nichts." — Dann setzte er seinen Weg bis zu einem Sprottauer Tore fort und fand es bei seiner Ankunft noch verschlossen. Er zog die Klingel, um den Wächter auf dem Torturme aufmerksam zu machen, er möge das Tor aufschließen. Als dieser nun zum Fenster herunterfragte, wer da wäre, gab er zur Antwort: „Der arme Sünder von der Sprotte!" Darauf kam der Wächter sogleich herunter, um das Tor zu öffnen, aber beim Herabkommen traf er den Angemeldeten nicht mehr an. Durch dieses Erscheinen und Anmelden hatte der Sünder ja das gegebene Wort bereits gelöst.


Quelle: Sagen aus Schlesien, Herausgegeben von Oskar Kobel, Nr. 17