DIE ZWEI LILIEN AM WUNZENTEICHE

Auf dem Wunzenteich unfern Pfördten [Pförten, Brody] in der Niederlausitz sieht man zuweilen in der mittägigen Zeit zwischen Pfingsten und der Johannisnacht zwei Lilien sich erheben und allgemach im Wasser wieder versinken. Wie diese Lilien auf den Wunzenteich gekommen sind, darüber erzählt man sich in dieser Gegend folgendes:

Etwa um das Jahr 900 nach Christi Geburt wohnten in der Niederlausitz die heidnischen Wenden. Die christlichen Glaubensboten aus Deutschland gaben sich die erdenklichste Mühe, diesen Volksstamm zum Christentum zu bekehren. Manchen Erfolg konnten sie aufweisen. Aber viele von den Wenden verharrten im Heidentum und vertrieben oder töteten gar die christlichen Missionare.

Zu den grausamsten Gegnern des Christentums zählte der Ritter Udo von den Wunzen. Da schickte der Frankenkönig ein Heer in das Wendenland und gab den Befehl, sich unter allen Umständen dieses gefährlichen Christenfeindes zu bemächtigen. Die fränkischen Mannen drangen tief ins wendische Gebiet hinein. Aber der Kampf war für sie sehr schwierig, da sie das Wendenland mit seinen weit ausgedehnten Sümpfen, Morästen und unwegsamen Wäldern zu wenig kannten. Für die Wenden hingegen war es ein leichtes, die fränkischen Ritter in die Irre zu führen. Diese bemühten sich, des Königs Befehl nachzukommen. Aber trotz all ihrer Anstrengungen wurden sie nur des einzigen Sohnes Udos, namens Adalbert, habhaft. Der Vater selbst entkam in das Gebiet der Sümpfe.

Adalbert ward in die Gefangenschaft abgeführt. Udo aber ließ sich sofort nach dem Abzüge der Fränkischen Ritter in dem Morast und Gestrüpp des Wunzenteiches ein festes Schloß bauen. Um das Schloß wucherte wildes Gestrüpp. Durch dieses ließ Udo Irrwege legen, die scheinbar den Ankommenden dem Schlosse zuführten, ihn aber in Wirklichkeit nur weiter vom Schlosse wegleiteten und schließlich in Sümpfen endeten, wo jeder, der die Wege ging, elend ums Leben kommen mußte.

Sowie die gesamte Anlage fertig war, ließ Udo im Lande verkünden, er wolle Christ werden. Darauf kamen mancherlei Glaubenshelden zu ihm, aber alle fanden in den Irrwegen, die das Schloß umgaben, einen furchtbaren Tod.

Adalbert, sein Sohn, diente inzwischen bei dem Ritter Hans von Sährichen. Dieser, wie seine Gemahlin Thusnelda und seine liebliche Tochter Elfriede, waren Christen der Tat. Sie behandelten ihre Untergebenen, wie es Christus befohlen hatte, mit Liebe und schätzten sie als Menschen und Ebenbilder Gottes sich durchaus ebenbürtig. Adalbert dachte oft in geruhsamen Stunden darüber nach, woher sein Herr und seine ganze Familie eine solch edle Gesinnung haben konnten. Er verglich unwillkürlich die Behandlung, die er erfuhr, mit der, die den Gefangenen in seiner Heimat widerfuhr, und kam zu der Überzeugung, daß dies einzig auf den Einfluß der christlichen Religion zurückgeführt werden könne. Einer solchen Religion, die die Menschen beglückt und die Untergebenen nicht unterjocht, mochte auch er sich zuwenden. Darum bat er seinen Herrn, ihn in den Lehren des Christentums unterweisen zu lassen. So wurde er Christ.

Hierdurch wurde er der Familie des Ritters Hans von Sährichen immer inniger verbunden. Dieser erinnerte sich der Herkunft des jungen Mannes aus ritterbürtigem Stamme, und da Adalbert in seinem ganzen Auftreten bei aller Bescheidenheit etwas Ritterliches zeigte, ward er später zum Ritter geschlagen, und der Ritter Hans von Sährichen gab ihm sogar seine Tochter zur Gemahlin.

Nur eines fehlte Adalbert noch zu seinem Glücke: Er sehnte sich, seinen Vater wiederzusehen. Wie verlangte es ihn, wieder einen Blick in seine geliebte Heimat tun zu können! Mit allen Fasern seines Herzens hing er ja an Vaterhaus und Heimat.

Wie als ob seine Gedanken den Weg bis zum Vater im fernen Wendenlande gefunden und sich dort in dessen Seele gefangen hätten, dachte auch der Vater gerade in dieser Zeit öfter als sonst an seinen einzigen Sohn. Einst, als er so in Gedanken versunken auf seinem Lehnstuhl am Fenster seines Wohngemaches saß, kam sein treuer Diener Bodo ins Zimmer. Er erriet den Grund der Trübseligkeit des alten Herrn, waren doch auch seine Gedanken oft auf den jungen Herrn und Erben des Schlosses gerichtet, und er begann von Adalbert zu sprechen. Da äußerte Udo den Wunsch, seinen Sohn vor seinem Tode noch einmal zu sehen. Aber wo mochte er nur sein? Nun erbot sich Bodo, auf die Suche nach Adalbert zu gehen.

Sein Bemühen hatte Erfolg. Nach Verlauf einer längeren Zeit hatte Bodo den Aufenthalt des jungen Herrn ausgekundschaftet. Er trat vor ihn und merkte zu seinem Entsetzen, daß Adalbert Christ geworden sei, ja, daß er sogar eine christliche Gemahlin hatte. Darob machte er dem Sohne seines Herrn bittere Vorwürfe. Dieser aber enthüllte ihm in aller Offenheit die Beweggründe, die ihn veranlaßt hatten, sich taufen zu lassen. Das machte auf Bodo einen solchen Eindruck, daß auch er bat, Christ werden zu dürfen und getauft zu werden.

Nun machten sie sich auf den Weg ins Wendenland. Als die drei in die Nähe des Schlosses gelangt waren, bat Bodo das junge Ehepaar, vorausgehen und den alten Ritter auf die Ankunft des Sohnes und seiner Gattin vorbereiten zu dürfen.

Bodo trat in das Gemach Udos, erzählte seinem Herrn von seinen Erlebnissen und auch davon, daß er und Adalbert Christen seien.

Das ergrimmte den alten Heiden. Er befahl, seinen Diener Bodo grausam zu martern und umzubringen. Andere Diener schickte er zu seinem Sohne und ließ ihn bitten, zu ihm zu kommen. Den Dienern aber gab er den geheimen Auftrag, Adalbert und Elfriede auf den Irrwegen ins Verderben zu führen.

Das geschah. So mordete der verbohrte Heide seinen unschuldigen Sohn und seine herzensreine Schwiegertochter.

Aber diese Grausamkeit und unmenschliche Handlungsweise rächte der Himmel. Ein fürchterliches Unwetter, wie man es bisher in jener Gegend noch nie erlebt hatte, erhob sich. Der Himmel verfinsterte sich. Furchtbare Regengüsse mit Hagel stürzten hernieder. Furchtbar rollte der Donner, und Blitze fuhren zerschmetternd m das Schloß, unter dessen Trümmern Udo begraben wurde.

Seitdem erscheinen die Seelen der engelreinen Kinder des verstockten Wüterichs als Lilien auf dem Wunzenteiche.


Quelle: Sagen aus Schlesien, Herausgegeben von Oskar Kobel, Nr. 19