WERWÖLFE, VAMPIRE UND UNTERIRDISCHE

Viel weiß des Volkes Glaube und Aberglaube an den Ostseeküsten und dann weit hinab und hinauf in West- und Ostpreußen, in Litauen und bis nach Polen hinein, ja bis Serbien, Bosnien und in die Türkei von dämonischen Wesen zu erzählen, und ließen sich davon allein Bücher füllen.

Der Werwolf oder Wärwolf ist gedacht als ein Mensch, der durch Zaubermittel sich zur Nachtzeit in ein reißendes Tier, insgemein in einen Wolf, verwandelt und Menschen und Vieh anfällt, um ihnen das Blut warm aus dem Herzen zu saugen. Was der Werwolf so im Freien und an Wachenden übt, das tut der Vampir in den Gemächern an den Schlafenden. Der Werwolf wandelt noch unter den Lebenden, der Vampir ist ein Abgeschiedener, der seinem Grabe entsteigt und die Menschen würgt. Das ist beider Gemeinsames und Besonderes, aber die Verwandtschaft ist noch enger begründet. Stirbt der Werwolf und wird begraben, dann wird auch er Vampir und kehrt mordend aus dem Grabe wieder mit nie gestilltem Durst nach dem Blute der Lebendigen. Vampire werden aber auch solche Tote, welche von ihrem Grabeskleid irgendeinen Zipfel oder das Endchen eines Schleiers oder Bandes mit dem Munde erlangen; daran schmatzen sie, und solange sie schmatzen, so lange haben und üben sie des Grabentsteigens und des Blutsaugens dämonische Gewalt. Dabei machen sie den Anfang mit den nächsten Verwandten, dadurch sind schon ganze Familien und Dörfer ausgestorben.

Ein Jäger aus Danzig beging abends sein Revier und sah sich plötzlich von einem ungewöhnlich großen Wolf angefallen, da er aber nicht unvorbereitet war, so schoß er, und seine Kugel zerschlug dem Wolf den rechten Vorderfuß. Mit lautem Geheul ergriff der Wolf hinkend die Flucht. Der Jäger folgte der Spur des Blutes, nachdem er von neuem seine Büchse geladen, denn er wollte sich in Besitz des schönen Wolfspelzes setzen. Die Spur leitete ihn zu einer Hütte im Walde und in diese hinein. Da fand er eine Frau und einen Mann, und die Frau verband des Mannes rechte Hand, die von einer Kugel zerschmettert war. Der Jäger zeigte die Sache an, der Mann ward eingezogen, bekannte, daß er ein Werwolf sei, und wurde lebendig verbrannt.

Im Dorfe Grabau (manche schreiben Crakau) nahe bei Danzig, nach der Küste zu, begann einmal vor noch nicht allzu langer Zeit ein allgemeines Sterben, und besonders wurden Jungfrauen in der Blüte ihres Lebens hingerafft, und jede so schnell Gestorbene hatte am Herzen ein kleines Wundenmal. Da fielen endlich die Dorfältesten auf den Gedanken, es möge wohl ein Vampir auf ihrem Kirchhof liegen, und ließen viele Gräber und Särge öffnen, und da fand sich auch ein Leichnam, der war nicht verweset gleich den andern, sondern Nägel und Barthaar waren ihm gewachsen, und an seinen Lippen zeigte sich die Spur frischen Blutes. Alsbald wurde das bekannte, bis nach Serbien hinein und dort sehr häufig angewandte Mittel ebenfalls angewandt. Das Haupt des Toten wurde mittelst eines Grabscheites vom Körper abgestoßen und durch das Herz ein Pfahl von Dornholz geschlagen und alles zu Asche verbrannt. Da hörte das Sterben auf.

Vor Herzog Albert in Preußen wurde einstens von den Bauern ein Gefangener gebracht und beschuldigt, derselbe sei ein Werwolf; da befahl der Herzog, ihn genau zu beobachten, ob und wie er sich in einen Wolf verwandle. Und der Gefangene gestand ohne Zwang, er werde alljährlich um das Johannisfest und um Weihnachten ganz wild, es wüchsen ihm unter großen Schmerzen Wolfshaare und er bekomme einen heftigen und unbändigen Trieb, Menschen und Tiere zu zerfleischen, daher mochte er wohl den Bauern einige Enten und Gänse, vielleicht auch Schafe zerrissen haben. Eine Verwandlung des Gefangenen aber in eine Wolfsgestalt erfolgte nicht.

In Livland wissen die Leute zu erzählen, daß, wenn die Christnacht vorüber ist, ein hinkender Junge durch die Orte gehe und die Bösen zusammenrufe wie der Hirte seine Herde, und ein anderer langer Mann haue die Säumigen, die nicht folgen wollen, grausam mit einer Draht- und Stachelgeißel und treibe sie mit Zwang von hinnen. Dann, indem sie diesem Hirten folgen, nehmen sie Wolfsgestalt an und fallen in die Herden, wo sie deren finden, aber Menschen dürfen sie nicht verletzen. Fließende Wasser teilt der Führer des Werwolfheeres mit seiner Rute oder Geißel, daß sie trocknen Fußes hindurchgehn. Solcher Spuk dauert nur, solange die zwölf Nächte währen, vom ersten Christtag bis zum heiligen Dreikönigstage oder großen Neujahr, dann legen jene schrecklichen Ungetüme ihre Werwolfsgestalt ab und werden wieder in Menschen verwandelt.

Der Blutspur nach gehen auch gern nach dem Volksglauben in der Gegend um Danzig die Unnereerdschkens (Unterirdische) und weilen am liebsten da, wo Menschenblut vergossen wurde. Auf einem Dorfe bei Danzig hatte sich ein Knecht im Stalle erschossen, und alsbald schlugen in diesem Stalle die Unterirdischen ihre Wohnung auf, quälten und vertrieben das Gesinde und wichen nicht eher, bis der Stall abbrannte. Die Natur dieser Erdgeister wird von den Bewohnern nicht wie anderwärts als aus Güte und Tücke gemischt geschildert, sondern durchweg boshaft, schadenfroh und menschenfeindlich, ganz der Nachtseite der slawischen Dämonenwelt angehörend. Auch sie bringen Wechselbälge in die Wochenstuben und legen diese an die Stelle schöner Kinder.

Einst ging ein Schäfer, der ein geübter Geigenspieler war, zur Nacht nach Hause, da begegnete ihm ein kleines, ganz gelb gekleidetes Männchen und fragte ihn, ob er mitkommen, aufspielen und Geld verdienen wolle. Dem Schäfer war nichts lieber, und ließ sich willig leiten. In einem hellen Saal traf er Hunderte von Zwergenmännlein und Fräulein an, alle waren gelb gekleidet; sie reihten sich zum Ball, und der Schäfer spielte trotz dem Musikanten auf dem Pervisch zu Aachen, bis er fast nicht mehr konnte. Hierauf wurden ihm die Taschen mit Geld gefüllt und ihm gesagt, er möge nichts davon anrühren, bis er zu Hause sei. Dann ward er hinweggeführt, und es war ihm, als lege er sich daheim nieder, sehr ermüdet. Als er erwachte, lag er auf seinem Kartoffelacker unter einem Baume und die Geige neben ihm, die Sonne aber stand schon hoch am Himmel. Wie ein Traum dünkte alles dem Geiger, doch gedachte er des empfangenen reichen Lohnes und griff in seine Tasche. Die waren voll Schuppen der Tannenzapfen. Verruchter Dreck! murmelte der Schäfer und leerte ärgerlich seine Taschen aus. Als er heimkam und die Jacke auszog, klingelte etwas in der einen Tasche, und wie er hineinfühlte, zog er einige uralte Mariengroschen heraus. Die waren noch hängengeblieben am Futter. Als ob der Kopf ihm brenne, eilte der Mann wieder hinaus zu seiner luftigen Schlafstelle - er fand nichts mehr, wohl aber war ihm, als höre er hoch auf des Baumes Zweigen und unter dem dichten Kartoffelkraut ein schadenfrohes Gekicher.

Ludwig Bechstein, Deutsches Sagenbuch, Leipzig 1853