KRIUMTUCH

Wenn man das neugeborne Kind zum erstenmal in die Wiege legt, muß man drei Knoblauchzwiebel, drei Pfefferkörner und drei Teilchen Weihrauch, in ein Tüchlein geknüpft, unter dasselbe tun. Manche geben auch das Gesangbuch oder ein Messer hinzu und legen den Bratspieß in den Ofen und den Besen auf die Wiege, alles damit die Bösen nicht ankommen können. Auch die Wöchnerin selbst muß Knoblauch, Pf eff er und Weihrauch unter dem Kopf oder in das Kopftuch eingebunden haben. In alten Zeiten hat man sogenannte Kriumtücher um das ganze Bett gehängt, daß der böse Geist der Wöchnerin nichts anhaben könne. Auch erzählt man als wahr eine Geschichte, die sich im Schäßburger Stuhlsort Neithausen soll zugetragen haben. Da lag eine Wöchnerin einmal allein im Hause, denn ihr Mann war ausgegangen, und niemand konnte ihr ein Essen anrichten, wie sie es gewünscht hätte, also daß sie weinte vor Hunger. Das Kriumtuch hing vor ihrem Bett. Da trat jemand in die Stube und fragte sie: "Warum weinest du ?" Und eie antwortete: "Ich weine vor Hunger, denn mein Mann ist nicht zu Hause, daß er mir etwas zu essen mache." Da sagte der Fremde, den sie aber nicht sehen konnte wegen des Kriumtuches: "Weine nicht! Ich will dir ein Essen bereiten. Wo hast du das Fett?" Da wollte die Frau ihm den Ort zeigen, wo sie es hatte, und hob das Tuch auf. Wie sie aber den Fremden nun sah, so war er gekleidet fast wie ein Schulmeister; aber er hatte nur einen guten Fuß, der andere war ein Gänsefuß. Zum Tod erschreckt faltete sie die Hände sogleich und betete um Hilfe zu Gott. Kaum bemerkte der Fremde dies, als er den Dreifuß mit dem Fette nahm und ihn wütend wider das Tuch warf mit den Worten: "Dein Glück, daß du mich gesehen hast; sonst wäre dir wehe gewesen!" Und damit verschwand er.


Quelle: Siebenbürgische Sagen, Herausgegeben von Friedrich Müller 1857, 1885; Neue erweiterte Ausgabe von Misch Orend, Göttingen, 1972, Nr. 80, S. 8