STEPHAN UND DER DRACHEN

Der alte Taglöhner "Stephan" war als ein kluges, pfiffiges Männlein im ganzen Dorf Minarken bekannt. Nun ist er schon lange tot. Die kleine braune Tonpfeife im Mund, einen alten grünen, von irgend einem städtischen Herrn geerbten Filzhut auf dem Kopf, sah man ihn im Sommer jeden Tag im Dorfe herumgehen. Die Leute mochten ihn gerne, denn er wußte gar schöne Geschichten zu erzählen; lustige und traurige aus alter Zeit. Wenn im Sommer die Nachmittagssonne recht heiß auf die Felder schien und die Arbeiter sich zum Vesperbrot auf ein Stündchen im Schatten eines Baumes gelagert hatten, dann holte der alte Stephan sein Pfeifchen hervor, stopfte es, strich sich das Schwefelhölzchen am linken Wamsärmel und zündete die Pfeife an. "Seht, Kinder", begann er bedächtig: "Die Zeit vergeht und wir mit ihr; und doch meine ich, es wäre gestern gewesen, wo auch ich so jung und stark war wie ihr da! Ich war ein Bursche! Mir kam beim Tanzen und Ballschlagen nicht einer nach; aber auch in der Arbeit nichtI In der alten Zeit mußten wir viel arbeiten; mehr als ihr Jungen, ihr seid Herrn! Wenn wir zur Winterzeit die Eichen fällten, war ich immer als erster fertig: dann half ich den ändern. Und so kam es oft vor, daß wir nur spät am Abend heimgingen.

Einmal, es war früh dunkel geworden! — sahen wir drüben über den Magura einen roten Streifen. 'Hopp', rief ich gleich, 'das ist der Smo! Fürchtet euch nicht Freunde!' Und rauschend und fauchend kam es durch die Luft gezogen; rechts und links flogen die Funken, daß es einem ganz bang wurde. Gerade wie er über uns ist, hören wir ein Knistern und Sausen, und brrr! stand er mitten unter uns. — Na, Mutter hilf! Meine Kameraden hatten sich vor Angst und Schreck hinter die Eichen geflüchtet; ich aber trat keck hervor und sagte — wie meine Großmutter michs gelehrt hat — schnell jedes einzelne Glied vom Wagen her: vom großen Rad bis zum kleinsten Nagel — auch kein einziges Teilchen durfte fehlen. Und siehe da, der Smo wich! Leise erhob er sich und flog fauchend und funkensprühend, seinen langen rötlichgelben Schlangenleib windend, von dannen. Jetzt erst wagten sich meine Freunde aus ihrem Versteck hervor. Nachher sind wir aber nie mehr so spät aus dem Walde gekommen."

Der Alte hält inne, tut einen Zug aus seiner Pfeife und bläst mit gewichtiger Miene große blaue Rauchwolken um sich. — Auf die Frage, wer denn eigentlich der "Smo" sei, antwortete er: "Das weiß niemand genau; er ist ein böser Geist der Nacht, ein langer, feuriger Drache mit Menschenkopf; und wehe dem, der ihm allein begegnet! — Lacht nicht, Kinder, was ich euch sage, ist wahr! Und nur solche, die Kurasch haben, wie ja auch ich, — nur die können ihn weiterschaffen !"


Quelle: Siebenbürgische Sagen, Herausgegeben von Friedrich Müller 1857, 1885; Neue erweiterte Ausgabe von Misch Orend, Göttingen, 1972, Nr. XCI, S. 85