Walther und Hildegund

Den Waltharius verfaßte im ersten Drittel des zehnten Jahrhunderts der Klosterschüler Eckehard in St. Gallen für seinen Lehrer Geraldus. Noch im elften Jahrhundert verbesserte der vierte Eckehard seinen Stil und sein Latein. Das Gedicht, ein Epos in Hexametern, wurde in den Klöstern gern gelesen und hat sich uns in vielen Handschriften erhalten.

Attila, der König der Hunnen, zog erobernd durch die germanischen Länder. Weil die Franken, die Burgunden und die Aquitanier zu schwach waren zum Widerstand, leisteten sie dem Eroberer hohe Tributzahlungen und gaben ihm Geiseln: Gibicho (Gibich) von Franken den Hagano (Hagen), Herrich von Burgund seine Tochter Hildgund (Hildegund), Alphere von Aquitanien seinen Sohn Walthari (Walther). Die drei Königskinder wurden am Hof der Hunnen sorgfältig und liebevoll erzogen. Attila war dem tapferen Jüngling geneigt und seine Gemahlin der Hildegund. Als Gibich starb, verweigerte sein Sohn Günther die Tributzahlung, und Hagen entfloh den Hunnen. Attila wollte den Walther nun dadurch für immer an seinen Hof binden, daß er ihn mit einer hunnischen Fürstentochter vermählte. Doch den Walther trieb es, wie seinen Freund, zur Heimat zurück; er wich dem König in geschickten Worten aus und verdoppelte dann sein Vertrauen durch einen glänzenden Sieg, den er für ihn gegen seine Widersacher erstritt. Als er müde vom Streit zurückkehrte, fand er Hildegund allein im Königsgemach. Sie reichte ihm einen Erquickungstrunk, er erinnerte sie daran, daß sie von Kind auf einander versprochen seien und fragte sie, ob sie nun ihm wieder in die Heimat folgen wolle. Hildegund wagte zuerst kaum den Ernst dieser Frage zu glauben, dann folgte sie gern seinen Vorschlägen. Walther veranstaltete nun zur Feier seines Sieges ein großes Gelage und berauschte dabei den Attila und sein Gefolge: Als sie im tiefen Schlafe lagen, entrann er mit der Geliebten. Das Mädchen hatte - sie war die Schatzmeisterin - aus dem Schatz der Königin zwei große Truhen Goldes entwendet, damit beluden sie Walthers Roß. Hildegund führte es mit der einen Hand am Zaum, mit der anderen trug sie eine Angelrute, damit beide sich durch Fischfang das Leben fristen könnten. Walther in schwerer Rüstung schritt voran.

Attila erwachte aus seinem Rausche erst den nächsten Mittag und rief umsonst nach Walther und die Königin ebenso umsonst nach Hildegund. Voller Grimm verbrachte der König eine schlaflose Nacht: Am nächsten Morgen bot er dem ungeheuren Lohn, der ihm die Flüchtlinge finge und wiederbrächte. Doch von seinen Edlen wagte das keiner.

Nach vierzig Tagen und nach beschwerlicher Wanderung gelangten Walther und Hildegund an den Rhein; sie waren auf versteckten Wegen mehr des Nachts als des Tages fortgeeilt und lebten unterwegs von Jagd und Fischfang. Bei Worms gab Walther dem Fährmann einen großen Fisch für die Überfahrt. Der Fährmann brachte diesen dem König, und bei der Tafel bestaunten alle die Größe des Tieres. Der Fährmann schilderte den Helden, der ihn so reich belohnt, seine Begleiterin und das mit Gold beladene Roß. Da sprang Hagen auf, denn er hatte erkannt, daß dieser Held kein anderer als Walther sein könne. Günther aber triumphierte, daß er nun den Schatz zurückerhalte, den Attila seinem Vater einst genommen, und trotz der Vorstellungen Hagens machte er sich mit ihm und elf Helden auf den Weg, um dem Walther seinen Schatz zu nehmen.

Dieser war unterdessen vor eine enge Felshöhle gekommen, von der aus er einen weiten Blick über die Landschaft hatte, und die selbst für ihn den besten Schutz bot. Nur ein schmaler Pfad führte zu ihr. Der Held ruhte von der Mühsal der Reise aus, Hildegund bewachte den Schlafenden. Als sie Reiter herankommen sah, weckte sie ihn sanft. Walther erkannte die Franken, von ihnen sagte er, brauche ich nur den Hagen zu fürchten, und der ist mein Freund. Günther aber schickte an Walther einen Boten: Gegen Schatz, Mädchen und Pferd solle er das Leben behalten. Walther wies diese unerhörte Anforderung zurück und bot dem Günther hundert Armringe. Hagen beschwor seinen Herrn, dies Angebot anzunehmen, aber Günther fertigte ihn mit solch höhnischen Vorwürfen ab, daß er sich zornig abwandte und von einem Hügel gleichmütig den Kämpfen zusah, die sich nun entwickelten. Walther erhöhte noch einmal sein Angebot; zweihundert Armringe soll Günther von ihm nehmen, aber auch das wies der habgierige König zurück und schickte seine Helden gegen Walther vor. Der aber streckte die elf Mannen Günthers einen nach dem anderen nieder.

Der König flehte nun Hagen um Hilfe. Dieser, im Widerstreit zwischen der Treue zum Freund und der zum Herrn, konnte doch die Erniedrigung seines Königs nicht verwinden. Deshalb schlug er ihm vor, den Walther nicht jetzt in seiner günstigen Stellung, sondern ihn am nächsten Tage auf freiem Feld zu überfallen. Günther war das zufrieden, und beide Helden ritten davon, damit Walther glaube, er sei nun ganz außer Gefahr.

Der Held von Aquitanien verschanzte sich in seiner Stellung, tröstete die Geliebte und erquickte sich durch Speise und Trank. Dann schlief er die erste, Hildegund die andere Hälfte der Nacht. Am anderen Morgen belud er die Pferde der Erschlagenen mit ihren Waffen. Da er nirgends einen Feind sah, ritt er mit Hildegund davon. Diese aber spähte ängstlich zurück und sah, wie zwei Reiter sie verfolgten. Walther schickte das Mädchen mit ihren Schätzen rasch in den Wald, er selbst stellte sich den Feinden entgegen. Die heftigen Schmähungen Günthers überhörte er, den Hagen erinnerte er an die alte Treue, und Hagen erwiderte finster, der Tod so vieler junger Helden habe die Freundschaft zwischen ihnen zerrissen, und er müsse auch seinen Neffen rächen, den Walther ihm erschlagen. Nun war also der Kampf unvermeidlich, es wurde für Walther der schwerste von allen. Günther war ja schwächlich, und ihn brauchte Walther nicht zu fürchten. Aber in Hagen hatte er einen zumindesten ebenbürtigen Gegner. Zweimal wehrte dieser von seinem König den Todesstreich ab, aber das konnte er nicht verhindern, daß Walther dem Günther sein Bein über dem Knie vom Leibe schlug. Dafür trennte er durch einen Schwertstreich Walthers Hand vom Arm, dieser aber stieß ihm mit seinem Dolch das rechte Auge aus und raubte ihm, Wange und Mund durchschneidend, sechs Zähne.

Hildegund, von Walther gerufen, reichte den nun kampfuntauglich gewordenen Helden den Becher und verband sanft ihre Wunden. Walther und Hagen spotteten in derben Reden über ihre und Günthers Verstümmelung. Dann setzten sie den König auf sein Pferd, und Hagen brachte ihn nach Worms, Walther aber zog nach der Heimat, führte dort die Geliebte heim und herrschte lange und glücklich über sein Volk.

In diesem Epos, das Eckehard so hübsch und lebendig erzählt, befremden uns Wunderlichkeiten; derselbe Attila, dem drei germanische Fürsten Tribut zahlen und Geiseln stellen, damit er sie verschone, der soll, um zweier Flüchtlinge willen, einen ganzen Tag verdämmern, eine schlaflose Nacht verbringen und keine Krieger haben, die es wagen, den Entflohenen zu folgen? Und schließlich soll er sich bei der Flucht seiner Schützlinge beruhigen? Und ein König und Fürst, was Günther doch ist, fällt feige, wie ein Wegelagerer, mit beschämend großer Übermacht über den Walther her, der ihm nichts entwendete und auf dessen Schätze nur Attila ein Recht hätte?

Solche Widersprüche in Handlungen und in Charakteren haben die reine alte Heldendichtung niemals entstellt, dagegen sind sie den Erzählungen eigentümlich, die das Volk weiterträgt, wenn es in seiner Art, indem es den Stoff häuft und vermischt, alte Heldensagen wiedergibt. Eine zur Volkssage gewordene Heldensage wird auch dem Eckehard als Stoff für seine Dichtung vorgelegen haben.

Natürlich hat die Forschung versucht, die Sagen wiederherzustellen, aus deren Vermischug deren Waltharins hervorging. Dies Unternehmen schien die reiche Überlieferung der sehr beliebten Walthersage zu begünstigen. Schon altenglische Fragmente des achten Jahrhunderts besingen den Walther, der, vom Kampf ermüdet, von Hildegund ermutigt, gegen Günther und Hagen sich hält. Die Thidreksaga gibt eine besondere Darstellung der Walthersage, und ein eigenes Gedicht des deutschen Mittelalters aus dem dreizehnten Jahrhundert in nibelungenähnlichen Strophen feiert wiederum den starken Walther. Leider sind uns nur spärliche Bruchstücke erhalten. Die Überlieferung, auf der sie beruhen, war anscheinend dem Dichter des Nibelungenliedes bekannt. Die Bruchstücke schildern, wie Volker den Walther und die Hildegund durch Günthers Land führt, wie beide Flüchtlinge jubelnd von Hildegunds Eltern begrüßt werden, und wie die Hochzeit des Paares feierlich gerüstet wird, sogar den Etzel und die Frau Helche lädt Walther ein. Über Niederdeutschland drang schließlich im vierzehnten Jahrhundert die Sage sogar nach Polen, wo sie sich dann weiter verwirrte.

In der Thidreksaga wird Walther von dem im Dienst des hunnischen Königs weilenden Hagen verfolgt; dieser erreicht ihn mit elf Begleitern. Walther tötet zuerst diese, verletzt dann den Hagen, daß er ein Auge verliert und beschämt an Attilas Hof zurückkehrt. Einige Forscher erklären diese Form der Walthersage für die ursprüngliche; sie sei auch deshalb alt, weil sie mit der Hildesage Verwandschaft zeige. Darin entführe ein Held einem anderen, der auch Hagen heiße, seine Tochter; die Entführte heiße dort Hilde, hier Hildegund (hild und gund heißt beides Kampf, Hildegund wäre also eine doppelte Hilde). Und in beiden Fällen eile Hagen den Verführern nach. Die Hildegund sei, wie die altenglischen Fragmente zeigten, in der alten Sage nicht so demütig und ängstlich gewesen wie bei Eckehard, sondern kriegerisch und wild wie die Hilde auch, und wie ihr Name es fordert. Ganz deutlich werde der alte Zusammenhang von Hilde- und Hildegundssage aus der polnischen Fassung der Walthersage, in welcher Walther die Hildegund wie Horand die Hilde durch seine Gesangskunst gewinne, ihrem Verlobten entführe und den ihr nachsetzenden Vater besiege.

Gegen diese bestechenden Vermutungen ist einzuwenden, daß der Erzähler der polnischen Fassung in seinem Bericht verschieden Stoffe und Erinnerungen, die er wohl aus mündlicher Überlieferung kannte, durcheinander gebracht hat. Als altes und echtes Zeugnis für die Walthersage kann diese Version nicht gelten, ihr Verfasser hat eben, durch die Ähnlichkeiten verführt, die auch den Forschern der Gegenwart auffielen, beide Sagen, Walthersage und Hildesage, miteinander verschmolzen. Die Ähnlichkeiten zwischen diesen beiden Geschichten sind außerdem ganz äußerlich; sie beschränken sich im Grunde auf die Namen und deuten auf keine Verwandschaft der Sagen. In keiner Fassung der Walthersage ist Hagen der Vater der Hildegund, das Enscheidende aber bei der Hildesage bleibt aber gerade, daß ein kühner Entführer dem Vater die Tochter raubt und daß er diese in den tragischen Konflikt zwischen Vater und Geliebtem treibt. Gegen die Ursprünglichkeit der Fassung der Thidreksaga spricht noch anderes: Einmal weilt Hagen in keiner anderen germanischen Sage am Hofe Attilas, dagegen ist er immer an Günthers Seite zu finden. Alsdann nimmt in den anderen Fassungen der Walthersage gerade Günther am Kampf gegen Walther teil, ja er ist der eigentliche Anstifter; so auch schon in den englischen Fragmenten.

Die Vermutungen der Forschung über Hagens Bedeutung in der Walthersage lehnen wir also ab, sehen aber ein, daß es schwer ist, sie durch andere und überzeugendere zu ersetzen. Soviel scheint klar: Der erste Teil der Walthersage ist eine Fluchtsage. Zwei Königskinder werden als Geiseln an Attilas Hof geschickt, sie entfliehen und entkommen durch Kühnheit und Glück den nachstellenden Verfolgern. Solche Flucht begab sich in der Völkerwanderung oft; die Geschichtsschreiber wissen manches davon. Wie sich Geschichten dieser Art in Sagen verwandelten, hat uns etwa das Beispiel von Attalus und Leo gezeigt, das Gregor von Tours, auch er ein Geistlicher, behaglich erzählte. Die nordische Überlieferung besitzt Sagen, die der von Walther und Hildegund noch ähnlicher waren. In der Kormakssaga entführt Bersi die Steinwör, die mit ihm gefangen ist. Beide fliehen auf einem Pferd, er verbirgt sie und das Pferd im Wald und kämpft dann glücklich gegen eine Übermacht der Feinde. In der Gönguhrolfssaga flieht Gönguhrolf mit einer Königstochter und zwei Goldkisten auf einem Pferd, und beide reisen mehr nachts als tags.

Die Kämpfe von Günther und Walther galten vielleicht ursprünglich dem Streit zweier Fürsten um einen Schatz, auf den beide ein Recht zu haben glaubten, oder den einer dem anderen geraubt hatte und nun wiedergeben sollte. Damit kann es zusammenhängen, daß Walther bei Eckehard dem Günther so reichen Ersatz anbietet. In der alten Sage war vielleicht die Situation etwa der verwandt, die uns das Lied von der Hunnenschlacht schilderte. Ähnlich wie in Waltharius bricht dort ein Kampf aus, nachdem unmäßige Forderungen eines Bruders und gerechte Anerbietungen des anderen zurückgewiesen sind. Und Walther von Aquitanien ist wie Anganty und Hlöd ein westgotischer Held. - Hieldegund ist eine burgundische Königstochter, Günther und Hagen sind Franken, Habgier und Kämpfe aber um der Schätze willen sind bezeichnend auch für fränkische und burgundische Fürsten. Gregor von Tours weiß davon nur allzuviel Geschichten. - Der schwächliche, feige, geldlüsterne Günther hier, der tapfere, wortkarge Hagen dort, der den König verachtet und ihm doch in der Not die Treue hält, sind wiederum Männer, wie sie uns die Geschichtsschreiber der Franken oft schildern. Das für die fränkische Geschichte bezeichnende Verhältnis zwischen König und Hausmeister spiegelt sich in ihnen sehr lebendig wieder.

In der Fluchtsage stehlen Walther und Hildegund den Schatz, in der Kampfsage kämpfen Helden um einen Schatz, der Schatz also brachte beide Sagen zusammen. Wo und wann sie verschmolzen sind, wissen wir nicht. Da aber die altenglischen Fragmente die Fluchtsage nicht erwähnen und nicht zu kennen scheinen, dafür aber den Kampf um den Schatz viel lebhafter und eindringlicher schildern als Eckehard, ist die Annahme erlaubt, daß im achtzehnten Jahrhundert die Kampfsage noch für sich bestand. Die anderen Wege der Sage liegen im Dunkel, und da die Forschung den erhellenden Strahl noch nicht fand, ist es das Geratenste, sie dort zu lassen. Bei Eckehard spielen sich die Kämpfe im Wasgenwald ab.

Die Darstellung des Eckehard zeigt noch einige Eigentümlichkeiten der alten germanischen Dichtung. Wenn wir von Einzelheiten absehen, wie von dem germanischen Lohn, den Attila dem verspricht, der ihm Walther und Hieldegund zurückbringt (er will ihn von Kopf zu Fuß mit einem Berg von Gold umgeben), so darf als germanisch gelten die Freude am Kampf, die Gier nach Schätzen, der Kampf zwischen Verwandten, die Skrupellosigkeit, mit der Hildegund ihre Wohltäterin, die Königin der Hunnen, beraubt, das nicht auf Liebe, sondern auf Treue gegründete Verhältnis von Walther und Hildegund. der Widerstreit der Empfindungen in Hagens Brust.

Den Charakter der Hildegund hat Eckehard freilich in das Weibliche und in das Christliche herübergezogen; sie ist bei ihm keine germanische Heldin, sondern demütig und gehorsam, und sie blickt ja vor dem letzten Kampf in ihrer Angst zurück und entdeckt, daß Günther und Hagen den Walther verfolgen. Im Gedicht des Klosterschülers finden wir, wie es nicht anders sein kann, auch sonst allerhand Christliches. Walther bittet seinen Troß, in dem er sich vermißt, alle Franken zu erschlagen, die ihm seinen Schatz rauben wollen, seinem Gott bald reumütig ab, und als der Held wirklich elf seiner Feinde getötet, dankt er voller Demut dem Herrn für seine Gnade und seinen Schutz. Sind auch die bösen und warnenden Träume des Hagen, daß er im Kampf ein Auge und Günther ein Bein verliert, unter dem Einfluß christlicher Dichtung eingeführt?

Nirgends in dem ganzen Gedicht schiebt sich aber das Christentum aufdringlich vor, und weniger von der Frömmigkeit, als von der Bildung seines Klosters ist die Arbeit seines Schülers ein schönes Zeugnis. Überall in Eckehards Versen finden wir den Einfluß der lateinischen Bibel, daneben den des im Mittelalter so gern studierten Prudentius und schließlich und vor allem den des Vergil. Am deutlichsten wird er in der Schilderung der Einzelkämpfe. Darin bietet Eckehard seine ganze Kunst und seinen Fleiß auf, um Abwechslung zu schaffen. Für ihn sind die Einzelkämpfe das Wesentliche seiner Dichtung; das Germanische ist ein beiläufiger, halb zufälliger Rest, der in der Sage nun einmal da war.

Häufung der Einzelkämpfe und in der Häufung wieder Abwechslung, das ist das eine Ziel von Eckehards Kunst. Charakterisierung, nicht Idealisierung, ist das andere Ziel, das geht aus der Schilderung von Hildegund, von Walther, von Attila, von Hagen und dem Günther hervor. Der Dichter zeigt uns weniger Helden als Menschen; ein germanischer Hagen hätte z.B. Günthers Vorwürfe nicht trotzig über sich ergehen lassen, sondern sofort zurückgegeben und dann zugeschlagen.

Eckehards künstlerische Bestrebungen gehören ganz in seine Zeit und in deren künstlerische Art. Er folgt auch darin ihrer Liebhaberei, daß er in seine Darstellung Komik, Derbheit und Übertreibung hineinmischt. Wenn Hagen ein Auge und einige Backenzähne, Günther ein Bein und Walther seine Hand einbüßt, und wenn die Helden nachher in derben Spaßen über ihre Verstümmelungen scherzen, so ist das als derbe Übertreibung gemeint. Natürlich beruht sie nicht auf alter sagenhafter Überlieferung, und weniger die Verletzung selbst als das sonderbare und etwas lächerliche Bild der grotesk verletzten Helden steht dem Dichter vor Augen.
In der Sage vom Riesen Einher, die wohl in unsere Zeit gehört, reitet der Held durch alle Wasser, zieht sein Pferd am Schwanz hinter sich, mäht die Hunnen und Wenden mit seinem Schwert nieder, wie mit der Sense Gras, hängt sie an den Spieß, und trägt sie über den Achseln wie Hasen oder Füchse. Nachher nennt er sie verächtlich quackende Fröschlein. - Der starke Adelgis, den wir schon kennen, bricht Hirsch- und Bären- und Ochsenknochen auf, als wären es Hanfstengel, und wirft sie in großen Haufen unter den Tisch, nachdem er ihr Mark verzehrt. Die Spange, die er am Arm trägt, fällt dem Kaiser Karl bis auf seine Schulter. - Von unserem Walther aber ging die Sage, er habe sich am Abend seines Lebens in ein Kloster zurückgezogen und sei dort Gärtner geworden. Im Auftrag des Klosters habe er einmal gegen Räuber gekämpft, auf seinem alten Pferde sitzend, das nun dem Bäcker sein Korn in die Mühle trug. Nachdem er sich zuerst, den christlichen Lehren des Abtes widerwillig gehorchend, seine Rüstung bis auf die Hose ausziehen ließ, schlug er dann auf einen Räuber seinen Steigbügel, so daß dieser besinnungslos niederfiel. Danach riß er einem Kalb das Schulterblatt aus und schlug damit weiter auf seine Angreifer ein, bis sie alle in voller Angst davonliefen. Einem versetzte er mit der Faust einen solchen Streich über dem Hals, daß ihm das zerbrochene Halsbein sogleich in den Schlund fiel.

Hier haben wir die Entsprechungen zu unserem Waltahrius. Erfindungen dieser Art liebte vor allem die französische Heldendichtung; der alternde Held im Kloster gehört zu ihren Lieblingsfiguren. Von Frankreich her wanderten solche Geschichten in späteren Jahrhunderten noch einmal in die deutschen Heldenepen, z.B. in das vom Mönch Ilsan und von Wolfdietrich. Beide, französische Poeten und Eckehard, werden diese Vorliebe für das Groteske, Derbe und Anschauliche von den Spielleuten übernommen haben, in deren Kunst solche Würze fast eine Notwendigkeit war, da sie ja auf der Wirkung des mimischen Vortrags fast ganz beruhte. Einwirkungen von den Spielleuten her zeigt der Waltharius auch an anderen Stellen, etwa wie Attila, als er vom Rausch aufwacht, die beiden Hände ächzend an seinen Kopf preßt und nachher, wie er von Walthers Flucht hört, nur mit Gebärden seinen Grimm kundgibt, oder wie die Recken den großen Fisch bewundern, den Walther als Lohn gab, und wie der Fährmann lüstern erzählt, in den Truhen seiner Fährgäste sei bei jeder Bewegung des Pferdes das Gold erklungen.

Wie weit hat uns die Betrachtung des Waltharius von der alten germanischen Heldendichtung fortgetragen! Der Stoff des Gedichtes ist, wenn auch keine alte germanische Heldensage, so doch eine Volkserzählung, die aus alten Heldensagen sich bildete. Ihre Menschen sind den Fürsten der Völkerwanderung ähnlich, allerdings mehr in ihren Menschlichkeiten als in ihrem Heldentum. Aber das Germanische tritt sehr zurück, und statt seiner sehen wir die Kunst des zehnten Jahrhunderts. Diese wollte Menschen schildern, erzählte viele Kämpfe, liebte aber Abwechslung in der Erzählung, und ihr besonderer Spaß waren die anschaulichen, derben und grotesken Übertreibungen und die lächerlichen und treffenden Gebärden der vortragenden Spielleute.

Quelle: Heldensagen, Genf 1996