RICHMODIS VON ADUCHT

Ist dir zu Köln am Rhein das sogenannte Wahrzeichen oder dasjenige Haus bekannt, wo das Pferd zum Fenster heraussiehet, weil sich ehemals daselbst eine wunderbare Geschichte zugetragen? Es starb nämlich eine reiche Weibesperson ohne Leibeserben, welcher ihr Ehemann aus besonderer Liebe, so er im Leben zu ihr getragen, nach Landesgebrauch eine güldene Kette am Halse und einige kostbare Ringe an den Fingern gelassen. Der goldsüchtige Totengräber, welcher dieses wußte, wollte der Erde diesen anvertrauten Schatz nicht überlassen, sondern machte sich nächtlicherweile, in Begleitung einer Laterne, über das Grab, um den Körper seines überflüssigen Zierrats zu berauben. Da er eben den Sarg auf-gemachet, richtete sich die in demselben liegende Frau auf und verursachte, daß der Totengräber über Hals und Kopf aus dem Grabe heraufstieg und in der Angst seine Laterne zurückeließ, damit er nicht von dem Gespenst übereilet würde. Die Verstorbene hingegen bediente sich dieses Zufalls zu ihrem Nutzen, nahm die bei dem aufgeworfenen Grabe stehende Laterne in die Hand und verfügte sich in ihrem Sterbekleide nach ihrer ehemaligen Wohnung. Es war beinahe elf Uhr, als sie vor der Haus-türe anklopfte, die Magd aber, nachdem sie ihre verstorbene Frau mit einer Laterne erblickte, lief eilends zu ihrem bereits schlafenden Herrn und hinterbrachte ihm, was sie jetzt wahrgenommen hätte. Derselbe hielte solches für etwas Unmögliches und brach aus Unbesonnenheit in diese Worte heraus: «So wenig es wahr sein kann, daß mein Pferd die Treppe hinaufklettere und durch das Dach des Bodens herausschaue, so wenig ist es möglich, daß meine Frau aus dem Grabe wieder nach Hause kommen kann.» Unterdessen fuhr die Frau immer fort, an dieTüre zu pochen, daß er endlich aus Ungeduld sein Bette verließ, um dieses Spektakul selbst anzuschauen. Da er nun sowohl die güldene Halskette, als auch die übrigen Sterbekleider gewahr wurde, entschloß er sich endlich, mit der Magd die Treppe hinunterzugehen und die Haustüre zu eröffnen. Hier sähe er nun seine Frau in leibhaftiger Gestalt, welche ihn freundlich grüßte, ob sie gleich nicht wußte, wie ihr geschehen war, noch wie sie in das Grab gekommen, viel weniger, wer ihr aus demselben herausgeholfen, oder wo sie die Laterne hergenommen hatte; im Gegenteil wußte der Mann gar wohl, daß sie ordentlich begraben und sowohl von ihm als allen ändern Leuten für tot gehalten worden. Allein die Umstände, so nach dem Begräbnis mit ihr sich zugetragen, waren ihm gänzlich unbekannt. Genug, er bekam eine körperliche Frau, die er für ein Gespenst gehalten, wiederum in sein Ehebette, hat auch mit derselben innerhalb sieben Jahren noch unterschiedene Kinder gezeuget. Sie hat diese neue Lebenszeit meistens mit Spinnen zugebracht, wie denn von ihrer Handarbeit noch zwei Stück roher, ungebleichter Leinwand zum Andenken verwahrt werden, die ich selbst gesehen habe. Überdem hat man zum Denkzeichen wegen der vorgeschützten Unmöglichkeit, einen Pferdekopf von Stein in das oberste Dachfenster gesetzet, welcher von jedermann kann gesehen werden. Eine ebensolche Geschichte aber können wir in der Hauptstadt unsers Sachsenlandes, ich meine zu Dresden, antreffen. Denn allda wird man dir ebenfalls einen Leichenstein zum Andenken einer solchen Geschichte aufweisen.


Quelle: Otto von Graben zum Stein, Unterredungen von dem Reiche der Geister, Leipzig 1731, I, S. 272 - 274 (nach Will-Erich Peuckert, Die Sagen der Monathlichen Unterredungen Otto von Grabens zum Stein, Berlin 1961, S. 37 f., Nr. 20).
aus: Historische Sagen, Leander Petzoldt, Schorndorf 2001, Nr. 35, S. 32