DIE BILDSÄULE DES GROßEN KURFÜRSTEN

Früher wußte man hier in Berlin noch viel mehr Geschichten aus alter Zeit zu erzählen, aber es kommt allmählich immer mehr ab; die wenigsten wissen noch, was das Jungfernkissen sei, oder daß der Große Kurfürst eigentlich acht Sklaven hat. Die vier, die oben um den Fuß der Bildsäule sitzen, das sind die vier Hauptsklaven, es sitzen aber noch vier unten im Wasser. Auch was das bedeuten soll, daß ein Paar Kinderköpfe vorn auf der Brust aus dem Mantel heraussehen, weiß der zehnte nicht. Das hängt aber so zusammen: Als der Große Kurfürst regierte, war ein gewaltiger Religionskrieg, und was nur an die Wand pissen konnte, wurde ermordet. Nun kam der Kurfürst mal auf einem Dorfe in eine Stube, da lagen ein paar Kinder in der Wiege, die lachten ihn so freundlich an; da hat er sie in seinen Mantel genommen und befohlen, daß man aufhören solle mit Morden. Und daher stammt denn das Wahrzeichen auf der Brust. (Berlin)


Quelle: Adalbert Kuhn und Wilhelm Schwartz, Norddeutsche Sagen, Märchen und Gebräuche, Leipzig 1848, S. 79, Nr 82. E: Mündlich von einem alten Arbeitsmann
aus: Historische Sagen, Leander Petzoldt, Schorndorf 2001, Nr. 37, S. 33