HOCHMUT

Andere wollen es besser wissen. Sie erzählen, daß der Stein auf dem Grabe der Gesche van Holten stehe, die einstmals die reichste Frau von Hamburg gewesen. Zu der kam einmal ein armer Verwandter, um sie um Unterstützung zu bitten, aber schnöde wies sie ihn ab, und als er sie an des Glückes Unbestand mahnte, antwortete sie ihm: «Eher kann der Esel auf dem Dudelsack pfeifen lernen, als ich arm werden!» Später ist sie dann so verarmt, daß sie auf ihrem ehemaligen Garten den Hühnern im Hühnerkorbe das vorgeworfene Brot nachgesucht hat. Wie sie so von dem traurigen Mahl zur Gasse schlich, begegnete sie einmal einem herumziehenden Possenreißer, der einen tanzenden, Dudelsack spielenden Esel mit sich führte: Da dachte sie an ihr vermessenes Wort aus der Zeit ihres Reichtumes und erschrak in ihrer Seele. Bald darauf ist sie gestorben. Ihre Familie hat ihr dann den beschriebenen Stein setzen lassen, zur Warnung aller derer, die im Glücke schwelgen. (Hamburg)


Quelle: L. Mackensen, Hanseatische Sagen, Leipzig 1928, S. 68, Nr. 105 II. (nach A. F. Bonaventurus in: Der Hamburgische Briefträger...Bd 13, v. 10.12.1803, S. 754).
aus: Historische Sagen, Leander Petzoldt, Schorndorf 2001, Nr. 43, S. 34