DER KINDERMORD

Graf Otto zu Orlamünde starb 1340 (nach andern 1275, 1280, 1298) mit Hinterlassung seiner jungen Witwe Agnes, einer geborenen Herzogin von Meran, von der er zwei Kinder, ein Söhnlein von drei und ein Töchterlein von zwei Jahren hatte. Die Witwe saß auf der Plassenburg und dachte daran, sich wieder zu vermählen. Einstens wurde ihr die Rede Albrechts des Schönen, Burggrafen zu Nürnberg, hinterbracht, der gesagt hatte: «Gern wollte ich dem schönen Weib meinen Leib zuwenden, wo nicht vier Augen wären! » Die Gräfin glaubte, er meinte damit ihre zwei Kinder und sie ständen der neuen Ehe im Wege.

Blind von ihrer Leidenschaft, trug sie einem Dienstmanne Hayder oder Hager auf und gewann ihn mit reichen Gaben, daß er die beiden Kindlein umbringen möchte. Nun haben die Kinder diesem Meuchelmörder geschmeichelt und ihn ängstlich gebeten:


«Lieber Hayder, laß mich leben,
Ich will dir Orlamünden geben,
Auch Plassenburg des neuen,
Es soll dich nicht gereuen!»


sprach das Knäblein; das Töchterlein aber sagte:


«Lieber Hayder, laß mich leben,
Ich will dir alle mein Docken (Puppen) geben!»


Der Mörder wurde hierdurch aber nicht gerührt und vollbrachte die Untat; als er später noch andere Bubenstücke ausgerichtet hatte und gefangen auf der Folter lag, bekannte er, so sehr ihn der Mord des jungen Herrn reute, der in seinem Anbieten doch schon gewußt hätte, daß er Herrschaften auszuteilen gehabt hätte, so gereute ihn noch hundertmal mehr, wenn er der unschuldigen Kinderworte des Mädleins gedächte. Die Leichname der beiden Kinder wurden im Kloster Himmelkron beigesetzt und den Pilgrimen zum ewigen Andenken der Begebenheit als ein Heiligtum gewiesen. (Franken)


Quelle: Jacob und Wilhelm Grimm, Deutsche Sagen, 3. A., Berlin 1865, DS 585 (nach v. der Leyen und Höttges, S. 252 u. S. 200).
aus: Historische Sagen, Leander Petzoldt, Schorndorf 2001, Nr. 34, S. 30