Winkelried und der Lindwurm.
In Unterwaiden beim Dorf Wyler hauste in der uralten Zeit ein scheußlicher
Lindwurm, welcher alles, was er ankam, Vieh und Menschen, tötete
und den ganzen Strich verödete, dergestalt, daß der Ort selbst
davon den Namen Ödwyler empfing. Da begab es sich, daß ein
Eingeborener, Winkelried geheißen, als er einer schweren Mordtat
halben landesflüchtig werden müssen, sich erbot, den Drachen
anzugreifen und umzubringen, unter der Bedingung, wenn man ihn nachher
wieder in seine Heimat lassen würde. Da wurden die Leute froh und
erlaubten ihm wieder in das Land; er wagt' es und überwand das Ungeheuer,
indem er ihm einen Bündel Dörner in den aufgesperrten Rachen
stieß. Während es nun suchte, diesen auszuspeien und nicht
konnte, versäumte das Tier seine Verteidigung und der Held nutzte
die Blößen. Frohlockend warf er den Arm auf, womit er das bluttriefende
Schwert hielt, und zeigte den Einwohnern die Siegestat, da floß
das giftige Drachenblut auf den Arm und an die bloße Haut, und er
mußte alsbald das Leben lassen. Aber das Land war errettet und ausgesöhnt;
noch heutigestags zeigt man des Tieres Wohnung im Felsen und nennt sie
die Drachenhöhle.
Quelle: Jacob und
Wilhelm Grimm, Deutsche Sagen, 3. Auflage, 1865, Nr. 218
aus: Leander Petzoldt, Historische Sagen, Mit Anmerkungen und Erläuterungen,
Band II, Baltmannsweiler 2001, Nr. 610, S. 131.