Die Mutter bei den Olympischen Spielen

Jede Frau, die es an den Festtagen wagte, auch nur den Alpheios zu überschreiten, sollte von einem nahegelgenen, schroff aufragenden Hügel zun Tode gestürzt werden.

Es soll allerdings nur eine einzige Frau dabei erwischt worden sein, daß sie sich über das strenge Verbot hinwegsetzte. Kallipatreia - andere überliefern den Namen Pherenike-, Tochter, Schwester und Mutter mehrerer Olympiniken, schlich sich, als Trainer verkleidet, in Olympia ein und mischte sich unter die Zuschauer. Sie brannte darauf, ihren Sohn beim Faustkampf der Knaben mit eigenen Augen kämpfen zu sehen. Als der den Sieg holte, hielt es Kallipatreia nicht mehr hinter der Absperrung, die die Trainer von den Athleten trennte. Während sie über die Barriere sprang, passierte es: Ihr Gewand zerriß, und man erkannte sie als Frau. Die Hellanodiken ließen indes Gnade vor Recht ergehen: mit Rücksicht auf den olympischen Ruhm ihrer Familie wurde der neugierigen Dame die Strafe erlassen.

Aus der Geschlechts-Täuschung zog man alllerdings Konsequenzen: Fortan mußten auch die Trainer ihre Kleider ablegen, damit sich nicht noch einmal ein derart skandalöser Vorgang ereignete...

Quelle: Paus. V6, 7f; VI7,2; Philostr. Gymn. 17, zit. nach Karl-Wilhelm Weeber, Die unheiligen Spiele, 1991, S. 197f.