Die vierte Arbeit des Herakles bis zur sechsten

Sofort ging es an die vierte Unternehmung. Sie bestand darin, den erymanthischen Eber, der, gleichfalls der Artemis geheiligt, die Gegend des Berges Erymanthos verwüstete, lebendig nach Mykene zu liefern. Auf seiner Wanderung nach diesem Abenteuer kehrte Herakles unterwegs bei Pholos, dem Sohne des Silen ein. Dieser, der wie alle Kentauren halb Mensch halb Roß war, empfing seinen Gast sehr freundlich und setzte ihm das Fleisch gebraten vor, während er selbst es roh verzehrte. Aber Herakles begehrte zu der feinen Mahlzeit auch einen guten Trunk. "Lieber Gast", sprach Pholos, "es liegt wohl ein Faß in meinem Keller, dieses aber gehört allen Kentauren gemeinschaftlich zu, und ich trage Bedenken, es öffnen zu lassen, weil ich weiß, wie wenig die Kentauren nach Gästen fragen." "Offne es nur guten Mutes", erwiderte Herakles, "ich verspreche dir, dich gegen alle ihre Anfälle zu verteidigen; mich dürstet!" Es hatte aber dieses Faß Bakchos, der Gott des Weines, selbst den Kentauren mit dem Befehl übergeben, dasselbe nicht eher zu eröffnen, als bis nach vier Menschenaltern Herakles in dieser Gegend einkehren würde. So ging denn Pholos in den Keller; kaum aber hatte er das Faß eröffnet, so rochen die Kentauren den Duft des starken alten Weines und umringten, haufenweise herbeiströmend, mit Felsstücken und Fichtenstämmen bewaffnet, die Höhle des Pholos. Die ersten, die es wagten einzudringen, jagte Herakles mit geschleuderten Feuerbränden zurück; die übrigen verfolgte er mit Pfeilschüssen bis nach Malea, wo der gute Kentaur Chiron, des Herakles alter Freund, wohnte. Zu diesem flüchteten seine Stammesbrüder. Aber Herakles hatte, als sie eben mit ihm zusammentrafen, auf sie mit dem Bogen gezielt und schoß einen Pfeil ab, der, durch den Arm eines anderen Kentauren dringend, unglücklicherweise in das Knie Chirons fuhr, und dort stecken blieb. Jetzt erst erkannte Herakles den Freund seiner früheren Tage, lief bekümmert hinzu, zog den Pfeil heraus, und legte ein Heilmittel auf, das der arzneikundige Chiron selbst hergegeben hatte. Aber die Wunde, vom Gifte der Hydra durchdrungen, war unheilbar; Chiron ließ sich in seine Höhle bringen und wünschte hier in den Armen seines Freundes zu sterben. Vergeblicher Wunsch! Der Arme hatte nicht daran gedacht, daß er zu seiner Qual unsterblich sei. Herakles nahm von dem Gequälten unter vielen Tränen Abschied und versprach ihm, es koste was es wolle, den Tod, den Erlöser, zu senden. Wir wissen, daß er Wort gehalten hat. Als Herakles von der Verfolgung der übrigen Kentauren in seines Freundes Höhle zurückkehrte, fand er Pholos, seinen liebreichen Wirt, auch tot. Dieser hatte aus einem Kentaurenleichnam den Todespfeil gezogen; während er sich nun wunderte, wie ein so kleines Ding so große Geschöpfe hatte niederwerfen können, entglitt das vergiftete Geschoß seiner Hand, fuhr ihm in den Fuß und tötete ihn auf der Stelle. Herakles war sehr betrübt; er bestattete ihn ehrenvoll, indem er ihn unter den Berg legte, der seitdem Pholoe genannt ward. Dann ging er weiter, den Eber zu jagen, er trieb denselben mit Geschrei aus dem Dickicht des Waldes heraus, verfolgte ihn ins tiefe Schneefeld, fing hier das erschöpfte Tier mit einem Strick und brachte es, wie ihm befohlen war, lebendig nach Mykene.

Darauf schickte ihn der König Eurystheus zur fünften Arbeit fort, die eines Helden wenig würdig war. Er sollte den Viehhof des Augeias in einem einzigen Tage ausmisten. Augeias war König in Elis und hatte eine Menge Viehherden. Sein Vieh stand nach Art der Alten in einer großen Verzäunung vor dem Palast. Dreitausend Rinder waren da geraume Zeit gestanden, und so hatte sich seit vielen Jahren eine unendliche Menge Mist angehäuft, den nun Herakles zur Schmach, und, was unmöglich schien, in einem einzigen Tage hinausschaffen sollte.

Als der Held vor den König Augeias trat und, ohne etwas von dem Auftrage des Eurystheus zu erwähnen, sich zu dem genannten Dienste erbot, maß dieser die herrliche Gestalt in der Löwenhaut und konnte kaum das Lachen unterdrücken, wenn er dachte, daß einen so edlen Krieger nach so gemeinem Knechtsdienst gelüsten könne. Indessen dachte er bei sich, der Eigennutz hat schon manchen wackeren Mann verführt; es mag sein, daß er sich an mir bereichern will. Das wird ihm wenig helfen. Ich darf ihm immerhin einen großen Lohn versprechen, wenn er mir den ganzen Stall ausmistet, denn er wird in dem einen Tage wenig genug hinaustragen. Darum sprach er getrost: "Höre, Fremdling, wenn du das kannst, und mir an einem Tage all den Mist hinausschaffest, so will ich dir den zehnten Teil meines ganzen Viehstandes zur Belohnung überlassen." Herakles ging die Bedingung ein, und der König dachte nun nichts anderes, als daß er zu schaufeln anfangen würde. Herakles aber, nachdem er zuvor den Sohn des Augeias, Phyleus, zum Zeugen jenes Vertrages genommen hatte, riß den Grund des Viehhofes auf der einen Seite auf, leitete die nicht weit davon fließenden Ströme Alpheios und Peneios durch einen Kanal herzu und ließ sie den Mist wegspülen und durch eine andere Öffnung wieder ausströmen. So vollzog er einen schmachvollen Auftrag, ohne zu einer Handlung sich zu erniedrigen, die eines Unsterblichen unwürdig gewesen wäre. Als aber Augeias erfuhr, daß dies von Herakles im Auftrag des Eurystheus geschehen sei, verweigerte er den Lohn und leugnete geradezu, ihn versprochen zu haben; doch erklärte er sich bereit, die Streitsache einem richterlichen Spruche anheimzustellen. Als die Richter beisammen saßen, das Urteil zu fällen, trat Phyleus, von Herakles aufgefordert, auf, zeugte gegen seinen eigenen Vater und erklärte, daß dieser allerdings über einen Lohn mit Herakles übereingekommen sei. Augeias wartete den Spruch nicht ab, er ergrimmte und befahl dem Sohne wie dem Fremdling, sein Reich auf der Stelle zu verlassen.
Herakles kehrte nun unter neuen Abenteuern zu Eurystheus zurück. Dieser aber wollte die eben vollbrachte Arbeit nicht gültig sein lassen, weil Herakles Lohn dafür gefordert habe. Dennoch schickte er ihn sogleich wieder auf ein sechstes Abenteuer aus, und gab ihm auf, die Stymphaliden zu verjagen. Dies waren ungeheure Raubvögel, so groß wie Kraniche, mit eisernen Flügeln, Schnäbeln und Klauen versehen. Sie hausten um den See Stymphalis in Arkadien und besaßen die Macht, ihre Federn wie Pfeile abzudrücken und mit ihren Schnäbeln selbst eherne Panzer zu durchbrechen; dadurch richteten sie in der Umgegend unter Menschen und Vieh große Verwüstungen an, und wir kennen sie schon vom Argonautenzuge her. Herakles, des Wanderns gewohnt, langte nach kurzer Reise bei dem See an, der, von einem großen Gehölz dicht umschattet, ruhte. In diesen Wald hatte sich eben eine unermeßliche Schar jener Vögel geflüchtet, aus Furcht, von den Wölfen geraubt zu werden. Herakles stand ratlos da, als er die ungeheure Menge erblickte und nicht wußte, wie er über so viele Feinde Meister werden sollte. Auf einmal fühlte er einen leichten Schlag auf der Schulter; hinter sich blickend, ward er Athenes Riesenerscheinung gewahr, die ihm zwei mächtige eherne Klappern in die Hände gab, welche Hephaistos ihr verfertigt hatte; sie bedeutete ihm, diese gegen die Stymphaliden anzuwenden, und verschwand wieder. Herakles bestieg nun eine Anhöhe in der Nähe des Sees und schreckte die Vögel, indem er die Klappern zusammenschlug. Diese hielten das gellende Getöse nicht aus, sondern flogen furchtsam aus dem Walde hervor. Darauf griff Herakles zum Bogen, legte Pfeil um Pfeil an und schoß ihrer viele im Fluge weg. Die anderen verließen die Gegend und kamen nicht wieder.