Botschaft der Griechen an Achilles

Im griechischen Lager hatte sich der Schrecken von der Flucht noch nicht gelegt, als Agamemnon die Fürsten Mann für Mann, doch nicht laut, zu einer Ratsversammlung rufen ließ. Tiefbekümmert saßen sie bald beisammen und unter schweren Seufzern sprach der Völkerfürst: "Freunde und Pfleger des Volkes, in schwere Schuld hat mich Zeus verstrickt. Er, dessen gnädiger Wink mir verheißen hatte, daß ich als Sieger nach Vertilgung Troias heimgehen sollte, hat mich betrogen und befiehlt mir jetzt, so viele tapfere Männer auf der Walstatt zurücklassend, ruhmlos nach Argos heimzukehren. Vergebens widersetzen wir uns dem Willen dessen, der schon so vielen Städten das Haupt zerschmettert hat und noch zerschmettern wird. Aber Troia sollen wir nicht erobern. So gehorchet mir denn, und laßt uns auf den schnellen Schiffen zum Lande der Väter fliehen!"

Achilles

Achilles und die Gesandten der Griechen
Stahlstich nach Vorlage von Jean-Auguste-Dominique Ingres
aus der dritten Auflage 1854

Lange blieben die bekümmerten Helden Griechenlands stumm, als sie das traurige Wort vernommen hatten, bis endlich Diomedes zu reden begann: "Zwar schmähtest du jüngst", sprach er, "meinen Mut und meine Tapferkeit vor den Griechen, o König! Jetzt aber will mir bedünken, daß dir selbst Zeus mit dem Szepter der Macht die Tapferkeit nicht verliehen hat. Glaubst du denn im Ernste, die Männer Griechenlands seien so unkriegerisch wie du geredet? Wohl, wenn dich das Herz so sehr nach der Heimat drängt, so wandre! Der Weg ist frei, und dein Schiff steht bereit! Wir anderen Achiver wollen bleiben, bis wir die Burg des Priamos zerstört haben. Ja, wenn sie alle davongingen, so blieben doch wir, ich und mein Freund Sthenelos, und kämpften fort, im Glauben, daß eine Gottheit uns hierher geführt!" Die Helden jubelten bei diesen Worten, und Nestor sprach: "Du könntest mein jüngster Sohn sein, o Jüngling, und doch hast du lauter Verständiges gesprochen. Auf daher, Agamemnon, gib den Führern ein Mahl, du hast ja Wein genug in den Zelten; die Scharenhüter sollen sich am Graben draußen vor der Mauer lagern, du aber horche beim Mahl auf den Rat der Besten unter dem Volke."

So geschah es. Die Fürsten schmausten bei Agamemnon getrösteteren Mutes, und nach dem Mahle sprach Nestor wieder in der Versammlung: "Agamemnon, du weißt, was seit dem Tage geschehen ist, an welchem du dem zürnenden Peliden die schöne Tochter des Brises aus den Zelten raubtest, wider unseren Sinn, denn ich habe dich mit großem Ernst abgemahnt. Jetzt ist es Zeit, darauf zu sinnen, wie wir das Herz des Gekränkten zur Versöhnung bewegen mögen." -"Du hast recht, o Greis", antwortete Agamemnon, "ich habe gefehlt, und leugne es nicht. Auch will ich es gern gut machen, und dem Beleidigten unendliche Sühnung bieten: zehn Talente Goldes, sieben Dreifüße, zwanzig Becken, zwölf Rosse, sieben blühende lesbische Weiber, die ich selbst erobert habe, endlich die liebliche Jungfrau Brisei's selbst, die ich, obgleich ich sie dem Achilles entrissen, doch immer in Ehren gehalten habe, wie ich mit heiligem Eide beschwören kann. Erobern wir dann Troia und teilen den Siegesraub, so will ich ihm selbst sein Schiff mit Erz und Gold voll füllen, und er mag sich zwanzig Troianerinnen, die schönsten nach Helena, zur Beute heraussuchen. Kommen wir nach Argos heim, so soll er sich eine von meinen Töchtern zur Gattin erwählen; er wird mir ein lieber Eidam sein, und meinen eigenen einzigen Sohn Orestes will ich nicht höher halten. Sieben Städte werde ich ihm zum Brautschatz geben. Solches alles will ich tun, sobald er von seinem Zorn abläßt."

"Fürwahr", antwortete ihm Nestor, "du bietest dem Fürsten Achilles keine verächtlichen Gaben. Senden wir denn auf der Stelle auserlesene Männer, Phoinix als Führer, dann den großen Aias und den edlen Odysseus, und mit ihnen die Herolde Hodios und Eurybates nach den Zelten des zürnenden Helden."

Nach einem feierlichen Trankopfer verließen wirklich die von Nestor ausgewählten Helden die Versammlung und gelangten in kurzem zu den Schiffen der Myrmidonen. Hier fanden sie den Achilles, wie er auf der schönen gewölbten Leier mit silbernem Stege, einer Beute aus Eetions Stadt, sein Herz erlabend, spielte und Siegestaten der Helden dazu sang. Ihm gegenüber saß sein Freund Patroklos und harrte schweigend, bis jener den Gesang beendigt hätte. Als der Pelide die Abgesandten, Odysseus an der Spitze, kommen sah, erhob er sich bestürzt von seinem Sitze, die Leier in der Hand behaltend. Auch Patroklos stand auf, sobald er ihrer ansichtig wurde; beide gingen ihnen entgegen, und Achilles faßte den Phoinix und den Odysseus bei den Händen und rief: "Freude sei mit euch, ihr Teuren! Zwar führt euch gewiß irgendeine Not zu mir her, doch liebe ich euch so sehr vor allen Griechen, daß ihr auch dem Zürnenden willkommen seid." Schnell brachte jetzt Patroklos einen großen Krug Weines herbei. Achilles selbst steckte den Rücken einer Ziege und eines Schafes und das Schulterblatt eines Mastschweines an den Spieß und briet alles mit Hilfe seines Gefährten Automedon. Nachdem sie sich nun, um das Mahl gelagert, an Speise und Trank gelabt hatten, winkte Aias dem Phoinix; Odysseus aber kam diesem zuvor, füllte den Becher mit Wein und trank dem Peliden mit einem Handschlage zu, dann begann er: "Heil dir, Pelide, deinem Schmaus gebricht es nicht an Fülle; aber nicht das liebliche Mahl ist's, wonach uns verlangt, sondern unser großes Unglück führt uns zu dir. Denn jetzt gilt es unsere Rettung oder unseren Untergang, je nachdem du mit uns gehest oder nicht. Die Troianer bedrohen den Stein wall und unsere Schiffe; Hektor, die Augen voll Mordlust, wütet, auf Zeus vertrauend. Erhebe dich denn, die Griechen, wenn auch spät, zu befreien, bändige den Stolz deines Herzens, glaube mir, freundlicher Sinn ist besser als verderblicher Zank. Hat dir doch dein Vater Peleus selbst solche Ermahnungen mit auf den Zug gegeben!" Dann zählte ihm Odysseus alle die herrlichen Gaben auf, die Agamemnon ihm zur Sühne anbieten ließ und noch weiter versprach.

Aber Achilles erwiderte: "Edler Sohn des Laertes, ich muß deine schöne Rede von der Brust weg mit Nein beantworten. Agamemnon ist mir verhaßt wie die Pforte des Hades, und weder er noch die Griechen werden mich bereden, wieder in ihren Reihen zu kämpfen, denn wann habe ich einen Dank für meine Heldenarbeit davongetragen? Wie eine Mutter den nackten Vögelchen den gefundenen Bissen darbringt, auch wenn sie selbst hungert, so habe ich unruhige Nächte und blutige Tage genug zugebracht, um jenen Undankbaren ein Weib zu erobern, und was ich erbeutet, brachte ich dem Atriden zur Gabe dar; er aber nahm die Schätze, behielt das meiste, und verteilte davon nur weniges; mir selbst hat er auch die lieblichste Beute entrissen. Darum will ich morgen schon Zeus und den Göttern opfern, noch im Morgenrote sollen meine Schiffe im Hellespont schwimmen, und in dreien Tagen hoffe ich in Phthia zu Hause zu sein. Einmal hat er mich betrogen, zum zweitenmal wird er mich nicht täuschen, er begnüge sich! Gehet und meldet den Fürsten diese Botschaft, Phoinix aber bleibe, wenn es ihm gefällt, und schiffe heim mit mir ins Land der Väter!"

Vergebens suchte Phoinix, sein alter Freund und Führer, den jungen Helden auf andere Gedanken zu bringen; er winkte dem Patroklos, dem alten Helden ein warmes Bett zurechtzumachen. Da stand Aias auf und sprach: "Odysseus, laß uns gehen, in der Brust des Grausamen wohnt keine Milde, den Unbarmherzigen bewegt nicht die Freundschaft der Genossen, er trägt ein unversöhnliches Herz im Busen!" Auch Odysseus erhob sich nun vom Mahle, und nachdem sie den Göttern das Trankopfer dargebracht, verließen sie mit den Herolden das Zelt des Achilles, bei dem nur Phoinix zurückblieb.